... sich aus § 823 Abs. 1 BGB grundsätzlich für jeden, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenlage schafft oder andauern lässt, die Verpflichtung, die notwendigen und zumutbaren Maßnahmen zu treffen, um andere vor Schäden zu bewahren.
Demnach hat derjenige, der die Verfügungsgewalt über ein Grundstück ausübt, soweit möglich und zumutbar grundsätzlich dafür zu sorgen, dass von dort stehenden Bäumen keine Gefahr für die Rechtsgüter anderer – etwa auf öffentlichen Verkehrsflächen oder benachbarten Privatgrundstücken – ausgeht. 2 Verpflichtet ist danach regelmäßig der Grundstückseigentümer, daneben aber auch der bloße Besitzer als Inhaber der tatsächlichen Gewalt wie etwa ein Pächter.
Eisenbahnen dienen nach § 3 AEG dem öffentlichen Verkehr. Schienenwege sind demnach öffentliche Verkehrsfläche. Daher muss der Verkehrssicherungspflichtige eines Grundstücks entlang einer Bahnstrecke die geeigneten, erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, damit von seinem Baumbestand keine konkreten Gefahren für die Sicherheit des Schienenverkehrs oder andere Rechtsgüter ausgehen.
Eine solche Gefahr liegt insbesondere dann vor, wenn zu besorgen ist, dass umstürzende Bäume die Schienenwege blockieren oder Oberleitungen und Signalanlagen zerstören.
Neuregelung für Grundstückseigentümer § 24 AEG
Gemäß § 24 S. 1 Nr. 1 AEG ist, wer die Verfügungsgewalt über ein Grundstück besitzt, verpflichtet, auf dem Grundstück innerhalb eines 50 Meter breiten Streifens beidseits entlang der Gleise, gemessen von der Gleismitte des außen liegenden Gleises, die geeigneten, erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um Gefahren für die Sicherheit des Schienenverkehrs oder andere Rechtsgüter durch umsturz - gefährdete Bäume, herausbrechende oder herabstürzende Äste, sonstige Vegetation abzuwehren. Satz 2 regelt, dass, wer die in Satz 1 genannten Pflichten vertraglich übernommen hat, diese anstelle des nach Satz 1 Verpflichteten zu erfüllen hat, wenn dieser ihn ordnungsgemäß ausgewählt, kontrolliert und überwacht hat.
Die Tiefe des Grundstücksstreifens, innerhalb dessen eine Sicherungspflicht im Hinblick auf die Sicherheit des Schienenverkehrs besteht, wird ausdrücklich mit 50 Metern bestimmt und damit laut Gesetzesbegründung mit dem etwa 1,5-fachen der durchschnittlichen Höhe der häufigsten Baumarten. Bislang erstreckte sich die Überwachung der Waldränder üblicher - weise auf eine Tiefe von einer Baumlänge, in der Regel also etwa 30 Meter.
Bisherige Rechtslage für die EIU
Bereits bisher sind die EIU über § 4 Abs. 3 Nr. 1 AEG, §§ 2 Abs. 1 und 17 Eisenbahnbetriebsordnung (EBO) verpflichtet, ihren Betrieb sicher zu führen. Aus der Pflicht zum sicheren Bahnbetrieb folgt, dass die EIU bei erkannten Gefahren nicht untätig bleiben dürfen, auch wenn die Gefahr vom Nachbargrundstück ausgeht. Zur Abgrenzung der Verkehrssicherungspflichten zwischen EIU und angrenzendem Grundstückseigentümer stellt die Rechtsprechung in Anwendung der zu Straßen entwickelten Grundsätze darauf ab, ob die Gefahr von der Straße/dem Schienenweg oder aber der Umgebung ausgeht. 4
Die Verkehrssicherungspflicht umfasst grundsätzlich auch Gefahren aus Bäumen, wenn diese als so genannte „Straßen - bäume“ am Fahrbahnrand stehen. Dem - gegenüber gehört der Waldsaum regel - mäßig nicht zur Straße/zum Schienenweg. Solange ein am Rand eines angrenzenden Grundstücks gepflanzter Baum keine Eigentümlichkeiten aufweist, die ihn vom Waldsaum „abheben“ und äußerlich der Straße zuordnen, das heißt er „unauffällig im Wald steht“, erstreckt sich die Verkehrssicherungspflicht nicht auf ihn. 5
Die Sicherungspflicht der EIU besteht unabhängig von den Pflichten des angrenzenden Grundstückseigentümers, denn ein Zuständigkeitsstreit soll vermieden und etwaige Streitfragen im Wege des Regresses geklärt werden. 6 In der Regel ist von einem echten Nebeneinander der Pflichten von Eigentümer und Straßenbaulastträger/EIU auszugehen, wobei nach dem zitierten Urteil des OLG Celle (Fn. 4) der Pflicht der (solventen) Letzteren grundsätzlich ein gewisser Vorrang zukommen dürfte, damit sich diese ihren Verpflichtungen nicht entziehen können. Ein EIU kann sich daher gegenüber einem Geschädigten nicht mit einem Verweis auf die Sicherungspflicht des Grundstückseigentümers entlasten.
Das EIU muss deshalb dahingehend auf den Grundstücksnachbarn einwirken, dass dieser seiner eigenen Sicherungspflicht nachkommt. Weigert sich der Grundstücksnachbar zu Unrecht, kann – und muss wohl – das EIU nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB) selbst tätig werden und den umsturzgefährdeten Baum beseitigen. Dem EIU steht sodann ein Aufwendungsersatz - anspruch nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677, 683, 670 BGB) gegen den sicherungspflichtigen Grundstückseigentümer zu. Bei dieser Vorgehensweise besteht die Gefahr, mit einer Strafanzeige des betroffenen Nachbarn wegen Hausfriedensbruchs beziehungsweise Sachbeschädigung überzogen zu werden. 7 Eine Sichtung des Baumbestands auf Nachbargrundstücken können die EIU aufgrund eines fehlenden Betretensrechts nur von den Gleisen aus vornehmen.
Neuregelung für EIU § 24a AEG
Gemäß § 24a Abs. 1 S. 1 AEG ist das EIU unbeschadet der Verpflichtung des nach § 24 AEG sicherungspflichtigen Grundstückseigentümers berechtigt, zur Gewährleistung einer betriebssicheren Eisenbahn - infrastruktur im Sinne des § 4 Abs. 3 AEG die Baumbestände in dem in § 24 S. 1 AEG genannten Bereich in angemessenen zeit - lichen Abständen darauf zu sichten, ob Gefahren für die Sicherheit des Schienenverkehrs durch umsturzgefährdete Bäume und so fort nach Maßgabe der nachfolgenden Absätze 2 bis 4 abzuwehren sind.
Mit dieser Regelung wird das EIU, unabhängig von der in § 24 AEG geregelten Sicherungspflicht des Grundstückseigen - tümers, berechtigt aber nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers keinesfalls verpflichtet 8 , die von Nachbargrund -stücken ausgehenden Gefährdungen zu identifizieren und die dafür erforderliche Baumkontrolle durchzuführen. Mit dem Wortlaut „berechtigt“ wird klargestellt, dass die EIU grundsätzlich keine Verantwortung für die Beseitigung sicherheits -relevanter Beeinträchtigungen vom Baumbestand auf Nachbargrundstücken tragen. Insbesondere besteht keine Verpflichtung zu einer regelmäßigen Baumkontrolle auf Nachbargrundstücken. Damit obliegt die Verkehrssicherungspflicht für ein Grundstück wie bisher primär dem jeweiligen Eigentümer.
Wird eine Sichtung durchgeführt, soll diese im Sinne der Stärkung eines erforderlichen präventiven Ansatzes der Baumkontrolle nach Satz 2 auch auf solche Bäume hin erfolgen, auf Grund derer eine Gefährdung der Sicherheit des Schienenverkehrs noch nicht besteht, aber zu besorgen ist. Bei solchen „Sorgenbäumen“ besteht nach der Gesetzesbegründung noch keine unmittelbare Gefahr und damit keine unverzüg - liche Gefahrenabwehrpflicht, Anhaltspunkte ließen aber mittelfristig (das heißt in ein bis zwei Jahren) eine entsprechende Entwicklung erwarten. Erkennbare Merkmale seien naturbedingt vergleichsweise bruchgefährdete Baumarten oder solche, bei denen aufgrund ihres Standortes, ihrer Wuchsform, ihres Gesundheitszustandes, erkennbarer Schäden im Bereich von Wurzel, Stamm oder Krone oder sonstiger erkennbarer Schwächung durch äußere Faktoren oder Pathogene mittelfristig eine Gefährdung zu besorgen sei.
DER AUTOR
Rainer Hilsberg ist Jurist in der öffent - lichen Verwaltung in Bayern. Er ist mit Seminaren zur Verkehrssicherungspflicht für Bäume als nebenamtlicher Dozent an der Bayerischen Verwaltungsschule tätig und leitet das Sachgebiet Sicherheit und Ordnung im Regierungsbezirk Schwaben.
§ 24a Abs. 2 AEG Betretensrecht
Um den EIU eine effektive Kontrolle der benachbarten Baumbestände auf konkrete Gefahren für den Bahnbetrieb zu ermög - lichen, räumt ihnen § 24a Abs. 2 S. 1 AEG nunmehr ein Betretensrecht ein. Die Baumkontrolle ist nach Satz 2 mindestens 14 Tage vor ihrer Durchführung ortsüblich – etwa in der örtlichen Tageszeitung – anzuzeigen und auf der Internetseite des EIU anzukündigen. Hierdurch sollen die sicherungspflichtigen Grundstückseigentümer von der Baumkontrolle Kenntnis erlangen können. Auf ihre vorherige Anforderung gegenüber dem EIU ist ihnen Gelegenheit einzuräumen, bei der Baumkontrolle anwesend zu sein.
Soweit das Grundstück in einem erkenn - baren Wohnzusammenhang steht, greift das Betreten zur Durchführung der Baumkontrolle in den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG ein. Die EIU haben bei solchen Wohngrundstücken deshalb nach Satz 3 nur dann ein Betretensrecht, wenn die Baumkontrolle der Verhütung dringender Gefahren für den Bahnbetrieb dient. Eine vorangehende Anzeige des Betretens kann in solchen Fällen aus Praktikabilitäts - gesichtspunkten geboten sein, sie ist jedoch nach Satz 4 nicht vorgeschrieben.
§ 24a Abs. 3 AEG Dokumentation, Hinweispflicht
Das Ergebnis einer erfolgten Baumkontrolle ist aus Gründen der Nachvollziehbarkeit gemäß Abs. 3 S. 1 in geeigneter Weise zu dokumentieren. Der nach § 24 AEG sicherungspflichtige Grundstückseigentümer ist gemäß Satz 2 auf Verlangen befugt, die von den EIU bei vorangegangenen Baumkontrollen angefertigten Dokumentationen über sein Grundstück einzusehen. Sofern EIU Gefahren für die Sicherheit des Schienenverkehrs durch umsturzgefährdete Bäume und so fort feststellen, haben sie gemäß Satz 3 diese Gefahren dem Sicherungspflichtigen unverzüglich anzuzeigen und ihn auf seine Sicherungspflicht hinzuweisen. Nach der Gesetzesbegründung soll aus der bloßen Anzeige keine rechtliche Verpflichtung des Grundstückseigentümers erwachsen, seiner Verkehrssicherungspflicht nachzukommen. Die Anzeige habe lediglich deklaratorischen Charakter: Sie solle den Eigentümer an seine Sicherungspflicht erinnern und auf diese Weise dazu beitragen, dass er die erforderlichen Schutzmaßnahmen im eigenen Interesse durchführt.
§ 24a Abs. 4 AEG Gefahr im Verzug
Absatz 4 S. 1 berechtigt die EIU bei Gefahr im Verzug die Gefährdung der Eisenbahnsicherheit durch Gefahrbäume unverzüglich selbst zu beseitigen. Gefahr im Verzug liegt nach der Gesetzesbegründung vor, wenn das EIU davon ausgehen muss, dass eine unmittelbare Gefahr für die Sicherheit des Schienenverkehrs besteht. Sofortiger Handlungsbedarf bestehe insbesondere dann, wenn ein Baum nicht mehr stand - sicher sei oder Teile von ihm herabzu - stürzen drohten, beispielsweise bei schräg stehenden Bäumen mit angehobenem Wurzelteller. Das Betretensrecht aus Abs. 2 gilt gemäß Satz 2 dann entsprechend. Der Grundstückseigentümer muss nach Satz 4 die Gefahrbeseitigung dulden und den EIU die durch die die Beseitigung entstandenen notwendigen Kosten erstatten. Nach der Gesetzesbegründung bleibt es ihm aber unbenommen, die Gefahrbeseitigung anstelle des EIU selbst vorzunehmen.
Bewertung: erhöhter Aufwand
§ 24 S. 1 Nr. 1 AEG bringt für die Grundstückseigentümer und -besitzer keine grundsätzliche Änderung gegenüber der bisherigen Rechtslage. Allerdings hat die jetzt geregelte Verpflichtung zur Verkehrssicherung auf einem 50 Meter breiten Streifen beidseits entlang der Gleise einen erhöhten Aufwand zur Folge. Die Regelung zur Übertragung der Verkehrssicherungspflicht entspricht ebenfalls der bisherigen Rechtslage.
An den von der Rechtsprechung heraus - gearbeiteten Grundsätzen zur Abgrenzung der Verkehrssicherungspflichten zwischen EIU und angrenzendem Grundstückseigentümer dürfte die Neuregelung in § 24a AEG nichts ändern. Die EIU haben wie bisher keine Kontrollpflicht für Bäume auf Nachbargrundstücken. Sie sind aber wohl verpflichtet, gegen eine erkennbare Bedrohung der Verkehrssicherheit einzuschreiten.
Die Gesetzesergänzung schreibt neu umfassende Rechte für die EIU fest wie das Betretensrecht und die Regelung zur Gefahr im Verzug, auf deren Basis diese bei Bedarf auch auf Nachbargrundstücken Gefahren für die Sicherheit und den reibungslosen Betrieb des Bahnverkehrs beseitigen können. Dies könnte einerseits zu mehr Rechtssicherheit, andererseits aber auch zu einer höheren Belastung der Grundstückseigentümer führen.
Eine Verschärfung stellt die Regelung zu den „Sorgenbäumen“ dar, insbesondere s - oweit dadurch nach der Gesetzesbegründung die Rechtsprechung des BGH 9 zu den naturbedingt vergleichsweise bruchgefährdeten Baumarten ausgehebelt wird.
Konkrete Handlungspflichten entstehen für den Grundstückseigentümer durch die Einstufung als „Sorgenbaum“ aber erst einmal nicht. //
Literatur:
1) Gesetzentwurf zur Änderung von Vorschriften im Eisenbahnbereich, Drs. 19/27671 Std. 17.3.2021
2) BGH, Urt. v. 13.6.2017, VI ZR 395/16; Urt. v. 31.5.1988, VI ZR 275/87; Urt. v. 30.10.1973, VI ZR 115/72; Urt. v.
8.10.2004, V ZR 84/04 3) Palandt/Sprau BGB, 75. Aufl. 2016, § 823 Rn. 48
4) OLG Celle, Urt. v. 10.2.2021, 14 U 12/20; Orf NZV 1997, 201; Hilsberg BayVBl 2012, 492
5) BGH, Urt. v. 19.1.1989, III ZR 258/87
6) BGH, Urt. v. 18.11.1993, III ZR 178/92
7) Wilting RdTW 2021, 214
8) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur, Drs. 19/28828 Std. 21.4.2021; Kramer NundR, 2021, 216
9) BGH, Urt. v. 6.3.2014, III ZR 352/13 (Pappelurteil)