... schwer zu erkennen, dass er entspannt ist und sich wohlfühlt. Was er momentan denkt? Nicht viel. Er genießt, denn Hunde leben im Hier und Jetzt.
▷ Vorausschauend
Denken Hunde überhaupt? Eindeutig ja. Hunde sind keine rein instinktgesteuerten Tiere. Sie bewerten Situationen, sind vorausschauend und richten ihr Verhalten und ihr Handeln danach aus. Beides entsteht wie ein Puzzle aus verschiedenen Teilen, unter anderem Veranlagung und Erfahrungen sowie der Fähigkeit, aktuelle Gegebenheiten einzubeziehen.
Vorausschauendes Handeln heißt bei einem Hund jedoch nicht, dass er sich überlegt, was nächste Woche oder nächsten Monat auf dem Plan steht. Dafür lebt er zu sehr im Moment. Trotzdem kann er in vielen Fällen einschätzen, was sein aktuelles Verhalten bewirkt, und entsprechend strategisch handeln. Ein Beispiel: Unsere Afghanischen Windhunde Nicky und Shalim hatten jeder einen Kauknochen. Wie immer war Nicky schneller damit fertig. Da ging er zur Terrassentür und bellte aufgeregt, obwohl rein gar nichts zu sehen oder zu hören war.
Wie zu erwarten sprang Shalim auf, um nachzusehen, was da los ist. Und sofort schnappte Nicky sich Shalims Kauknochen und verputzte ihn in aller Ruhe. Das Ganze war lediglich ein gezieltes Ablenkungsmanöver. Vorausschauend geplant und umgesetzt.
▷ Abwägend
Haben Sie schon einmal einem Hund zugeschaut, der vor einer schwierigen Aufgabe steht? Mir fallen dabei sofort die Hütehunde an den Schaf- und Ziegenherden ein, die ich mehrmals bei der Arbeit beobachten konnte. Ihre Präzision, die Koordination mit dem Schäfer und dieser trotzdem große Entscheidungsspielraum haben mich sehr beeindruckt. Immer wieder müssen die Hunde die Situation neu bewerten.
Und wenn sie einem angriffslustigen Bock oder einem verteidigungsbereiten Mutterschaf ganz starr Auge in Auge gegenüberstanden, knisterte die Luft förmlich vor Spannung und man konnte sehen, wie sich die Hundestirn runzelte und die kleinen grauen Zellen im Schleudergang rotierten: „Was nun – vorgehen oder besser Rückzug?“.
▷ Praktischer Nutzen
Dieses Stirnrunzeln kennt fast jeder Hundehalter von seinem Vierbeiner, und manchmal kann man ihnen direkt ansehen, dass sie etwas aushecken. So weiß ich genau, was meine Whippethündin Mina denkt, wenn das Käsebrot auf dem niedrigen Wohnzimmertisch steht, ich noch einmal in die Küche gehe und sie so tut, als interessiere sie das Brot gar nicht: Sie wartet, bis ich den Raum verlasse und sich eine günstige Gelegenheit ergibt, unbeobachtet das Brot zu schnappen. Studien haben bewiesen, dass Hunde tatsächlich ihr Handeln anpassen, je nachdem, ob sie beobachtet werden oder nicht.
Mina würde niemals in meiner Anwesenheit klauen. Doch je weiter und je länger ich entfernt bin, desto niedriger ist ihre Hemmschwelle und sie denkt sich: „Wenn’s keiner will, esse ich es eben.“ Das ist absolut nachvollziehbare Hundelogik. Daher passe ich mich an und lasse nichts mehr herumstehen, was Mina zum Diebstahl verführen könnte. Ein Hund erzieht einen zur Ordnung. Und wir sind jetzt beide viel entspannter.
▷ Reflektieren
Zu wissen, was ein Hund denkt, kann Klarheit schaffen und wesentlich zur Verbesserung der Beziehung von Mensch und Tier beitragen. Das Beispiel mit Mina ist natürlich sehr vermenschlicht dargestellt, Hunde denken nicht 1:1 wie Menschen. Deswegen sollte der Begriff „Denken“ hier etwas weiter gefasst werden und beinhalten: Wie geht es meinem Hund in diesem Moment, was fühlt er, hat er Bedürfnisse oder Absichten? Wie wirken die aktuellen Gegebenheiten auf ihn? Wie wirken mein Verhalten und meine Ausstrahlung auf ihn?
Klingt kompliziert, ist aber ganz einfach und mit etwas Routine mit einem Blick zu erfassen. Wenn ein Hundehalter sich regelmäßig diese Fragen stellt, wird er seinen Hund immer besser verstehen und das gegenseitige Vertrauen wird wachsen. Den Schlüssel zur Beantwortung liefert das Ausdrucks-verhalten des Hundes: Mimik, Gestik und Körperspannung.
Verstehen lernen
Sie können sicher schon ganz intuitiv Ausdrucksverhalten – Körpersprache – Ihres Hundes deuten, z. B. ob er ängstlich, aufgeregt oder neugierig ist. Je besser Sie diese lesen können, desto besser werden Sie wissen, was Ihr eigener Vierbeiner denkt. Diese Hundesprache zu lernen macht richtig Spaß und ist wie ein Blick hinter die Kulissen. Spannend ist dabei auch, dass es nicht alleine die Stellung der Ohren, die Rute oder die geduckte Haltung sind, die uns verraten, was der Hund denkt. Dies alles fügt sich zu einem Gesamtbild zusammen, das auch immer beeinflusst wird von den aktuell vorhandenen Umweltreizen, der Situation und dem Gegenüber.
Lernen Sie durch Beobachtung und schauen Sie öfter genauer hin, wie Menschen auf Hunde wirken und was das auslöst. Wie Hunde auf Menschen wirken und was das bedeutet. Wie Hunde miteinander umgehen und der Mensch das bewertet. Sie werden erstaunt sein, was Sie dabei alles entdecken .
Erkenntnisse nutzen
Durch das Beobachten von Hunden, ihre Interaktion mit Menschen und Artgenossen können Sie viel lernen, was sich praktisch für das Leben mit Ihrem Hund nutzen lässt. Hilfe beim Lernen und Umsetzen finden Sie in Hundeschulen und -vereinen sowie speziellen Workshops und Seminaren. Mit diesem neuen Wissen und der praktischen Anwendung können Sie besser mit Ihrem Hund kommunizieren, indem Sie seine Körpersprache verstehen, die hundliche Körpersprache aber auch selbst gezielt bei der Kommunikation einsetzen. Das hilft Ihnen auch, Ihren Hund sicherer zu leiten, ihn dann zu schützen, wenn er es braucht, und ihm Freiheiten zu bieten, wenn es möglich ist. Und das Beste: Sie werden beide glücklicher in Ihrer Beziehung sein.
HEIKE SCHMIDT-RÖGER