... Wintersonne hüllt die Pflanzen in ein weiches Licht. An den Zitrusgewächsen reifen die leuchtenden Früchte neben weißen, sternförmigen Blüten. Ein aromatisch süßlicher Duft durchströmt die historischen Räume.
Beherzt öffnet der Leiter der Orangerie Belvedere ein Kippfenster. Ein Blick auf das Thermometer verrät ihm: kühle 10 Grad; wärmer sollten die anspruchsvollen mediterranen Pflanzen nicht stehen. Jetzt im Winter ist die Pflege intensiver als im Sommer. Das liegt auch daran, dass viele Arbeitsschritte hier noch per Hand gemacht werden – vom Öffnen der Fenster bis zum Wässern der Kübel und Beheizen der Räume. Andreas Petzold und seine Gärtner sind zugleich die Hüter der „goldenen Äpfel“ von Belvedere, die hier seit 300 Jahren Tradition haben.
Einzug ins Winterquartier
Bereits Ende September wurden die rund 600 Kübelpflanzen mit einem Gabelstapler von ihrem Sommerquartier auf dem Schlossplatz und Orangerie-Innenhof in die schützenden Räume hinter Glas transportiert. Mehr als 80 kleinere Zitrus-Arten und 120 stattliche, bis zu zwei Meter hohe Pomeranzenbäume gehören neben Palmen, Lorbeer, Kamelien oder Schmucklilien zur umfangreichen Pflanzensammlung, die nach historischem Vorbild zusammengetragen und fortgeführt wird.
Nicht wenige Pflanzen sind selbst ein Teil der Geschichte von Belvedere, wie etwa die drei rund 260 Jahre alten Myrten oder die hohen Palmen, deren Alter die Gärtner auf 90 Jahre schätzen. Auch die Anordnung der Kübelpflanzen auf dem Gelände des Parks orientiert sich an historischen Zeichnungen. „Hier in Weimar wurde, im Gegensatz zu vielen anderen Sammlungen, nie nach wissenschaftlichen Aspekten gesammelt, sondern allein nach Schönheit und Seltenheit“, sagt Andreas Petzold. Seit 31 Jahren wacht er bereits über die Weimarer Pflanzenschätze – wie einst sein Vater.
Sommerresidenz mit Sammlung
Die barocke Gartenanlage ließ sich Herzog Ernst August I. von Sachsen- Weimar-Eisenach im Jahre 1728 auf einer Anhöhe außerhalb Weimars nach französischem Stil anlegen. Das Lustschloss, Schloss Belvedere, sollte ihm als Sommerresidenz dienen. Von hier aus hatte man damals wie noch heute, so wie es der Name bereits sagt, ein „belvedere“ – eine schöne Aussicht über Weimar.
Auch eine Orangerie ließ der Herzog als repräsentatives Winterquartier für seine damals schon beträchtliche Sammlung von exotischen Pflanzen errichten.
Mitte des 18. Jahrhunderts reihten sich in Belvedere bereits zahlreiche Orangenbäume, Granatäpfel, Feigen- und Kaffeebäume aneinander. Es war eine Sammlung – so wie damals an vielen Höfen üblich –, die die Macht und das Ansehen eines Adligen widerspiegeln sollte (siehe Beitrag ab Seite 148). Mit den südländischen Gewächsen zog das botanische und gärtnerische Wissen um die Kultivierung und Überwinterung der Pflanzen in Weimar ein.
Bildungsreisen der Gärtner
Die barocke Parkgestaltung endete mit dem Tod von Ernst August um 1748.
Belvedere blieb einige Jahre ungenutzt. Erst seine Gemahlin Anna Amalia nutzte das Schloss später wieder als Sommerresidenz und gestaltete den Park nach zeitgemäßen Vorstellungen,
Hofgärtner brachten von ihren Reisen seltene Pflanzenschätze mit.
die sich von der Symmetrie des Barock allmählich wieder lösten. In dieser Zeit entstand mit dem Langen Haus ein weiteres Orangeriegebäude, in dem damals wie noch heute eine beachtliche Sammlung von australischen Pflanzen und südafrikanischen sogenannten Kap-Pflanzen untergebracht ist.
Dass die von Ernst August I. begonnene Pflanzensammlung weiter wuchs, ist jedoch vor allem seinem Sohn Carl August zu verdanken. Der Herzog hatte eine ebenso große Leidenschaft für Botanik wie sein Vater. Hofgärtner wurden von ihm, so wie damals in der Blütezeit der Orangeriekultur üblich, auf europäische Bildungsreisen geschickt. So erwarben sie in anderen Orangerien neues Wissen und brachten dem Herzog weitere seltene Pflanzen und Samen nach Weimar. Hofgärtner Johann Christian Sckell etwa, der die gärtnerische Arbeit von Belvedere maßgeblich prägte und beeinflusste, reiste unter anderem nach London, Prag, Potsdam oder Muskau.
Hortus Belvedereanus
Schließlich entstand unter der Mitwirkung Johann Sckells ein historisch wertvolles Zeugnis für die damalige Pflanzenvielfalt in Belvedere: das Pflanzenverzeichnis „Hortus Belvedereanus“. Im Jahr 1820 herausgegeben, machte es Belvedere in Gärtner- und Orangeriekreisen in kurzer Zeit berühmt. Das Verzeichnis mit rund 7 900 verschiedenen Arten und Varietäten war nicht nur zur Repräsentation gedacht, sondern wurde vornehmlich an andere Orangerien im In- und Ausland verschickt, um einen Austausch anzuregen. So entstanden wiederum fruchtbare Wechselbeziehungen, in denen man sich gegenseitig Tipps gab, aber auch Pflanzen tauschte. „So ein freundschaftlicher und gärtnerischer Austausch mit anderen Orangerien in Europa besteht auch heute noch“, sagt Andreas Petzold.
Anziehungspunkt für Forscher
Mit der Geschichte von Belvedere sind auch viele bekannte Namen verbunden, wie etwa Johann Wolfgang von Goethe. Angezogen von der umfangreichen Pflanzensammlung, ging er auf Belvedere regelmäßig seinen botanischen Studien nach.
Auch der Landschaftsarchitekt Hermann von Pückler-Muskau besuchte 1826 Belvedere und beteiligte sich an der Umgestaltung des Parks zu einem englischen Landschaftspark. Zudem besuchten die Gärtner von Belvedere regelmäßig das sächsische Muskau, um sich weiterzubilden. „Darüber hinaus geben uns sogenannte Kutschenlisten Aufschluss darüber, wer damals Belvedere besuchte“, erzählt der Leiter der Orangerie. Darunter war beispielsweise der Forscher Alexander von Humboldt, der dem Herzog auch Pflanzensamen von seinen Reisen schickte.
Besondere Zitrus-Sorten
Noch heute zieht es Fachkundige wie Hobbygärtner nach Weimar, um ganz bestimmte Pflanzen der Sammlung sehen zu können. Denn viele Sorten, die schon im alten „Hortus Belvedereanus“ auftauchten, findet man heute noch hier. Besonders stolz ist Andreas Petzold auf die umfangreiche Zitrussammlung, die er nach alten Listen wieder zusammengetragen hat: Eine panaschierte weidenblättrige Bitterorange findet sich darunter ebenso wie die krausblättrige Pomeranze oder gar die fast verschollene Sorte ‘Bizzarria’.
Um den historischen Bestand wieder wachsen zu lassen, werden in der Orangerie-Gärtnerei Zitruspflanzen selbst gezogen und veredelt. Einige Sorten, darunter auch stattliche Bäume, wurden angekauft. Sie stammen aus ausgewählten Baumschulen in Sizilien und Rom. Dafür ist Andreas Petzold während seiner gärtnerischen Tätigkeit in Belvedere insgesamt dreimal nach Italien gereist, um persönlich die mediterranen Pflanzen auszuwählen. Eigens für die Ernennung Weimars zum Außenstandort der Bundesgartenschau Erfurt in diesem Jahr bekam Belvedere finanzielle Mittel, um den historischen Zitrusbestand zu erweitern. Dafür wählte der Gärtner 70 Pomeranzenbäume und sechs Meter hohe Zypressen aus. Mit leuchtenden Augen erinnert er sich an diese Reise und an die Anlieferung der Bäume im vergangenen Jahr.
Gärtnerische Arbeit
Um die neuen und historischen Pflanzenschätze zu bewahren, bedarf es eines großen gärtnerischen Aufwands: Die Zitruspflanzen stehen in handgefertigten Eichenholzkübeln und können je nach Größe nur mit dem Hubwagen oder Gabelstapler transportiert werden. Im zeitigen Frühjahr wird zunächst die oberste Erdschicht ausgetauscht und die Pflanze leicht aufgedüngt. Manchmal ist auch ein komplettes Umtopfen und ein Austauschen des Kübels nötig – eine kraftzehrende Aufgabe.
Nach dem Umzug ins Freie werden die Bäumchen ausgeputzt, geschnitten und regelmäßig von Hand gewässert. Danach werden sie, wenn die letzten Nachtfröste vorbei sind, in den Orangerie-Innenhof entlassen. Im frühen Herbst gilt es, die Witterung genau zu beobachten, da das Versetzen aller Kübelpflanzen knapp zwei Wochen benötigt. Beginnen die Gärtner zu spät, könnten erste Nachtfröste oder eisiger Ostwind Schäden am Bestand anrichten.
Dennoch ist es für die Pflanzen das Beste, so lang wie möglich draußen zu stehen.
Sind sie einmal nach drinnen umgezogen, ist eine regelmäßige Belüftung der Räume notwendig.
Denn eine zu feuchtwarme Luft macht die Zitrusgewächse anfällig für einen Schädlings- und Pilzbefall.
Während die meisten Fenster noch per Hand geöffnet und geschlossen werden müssen, schließen sich die oberen automatisch, sobald die Außentemperatur unter null Grad sinkt.
Historische Kanalheizung
Damit in der Orangerie unabhängig von den Außentemperaturen eine gleichbleibende Temperatur herrscht, werden einzelne Teile der historischen Kanalheizung von 1820 ab November angefeuert.
Insgesamt elf mit Schamotte ausgekleidete Kanäle werden wie damals über drei Öfen beheizt.
Die Kanäle verlaufen mal oberirdisch, mal unterirdisch durch die Orangeriegebäude.
In den sogenannten Kalthäusern stehen vornehmlich die großen Zitrusgewächse, Schmucklilien und Palmen, die eine kühle Wintertemperatur zwischen 5 und 10 Grad bevorzugen. Anders ist es im Neuen Haus, wo es im Winter bis zu 15 Grad warm ist. Hier überwintern die empfindlicheren Pflanzen wie Wildpelargonien oder eine kleine Sammlung historischer Citrus.
Das richtige Beheizen der Räume ist eine verantwortungsvolle Aufgabe. Das weiß auch Thomas Fischper.
Als einer von zwei Saisonkräften legt er bereits im 14. Winter zweibis dreimal täglich Holz auf die Glut. Jetzt im November ist der Holzvorrat gut aufgefüllt. Vor allem wird mit gut durchgetrocknetem Laubholz geheizt, das aus den Weimarer Parks stammt. Wenn es im Januar und Februar besonders kalt wird, müssen die Öfen zusätzlich auch nachts befeuert werden.
Doch ein Teil von Belvedere zu sein und ein Stück weit Verantwortung für die Pflanzen zu tragen, macht es Thomas Fischper wahrscheinlich etwas leichter, in kalten Winternächten auf die Anhöhe bei Weimar zu fahren.