... saß und nicht er. Egal, was dort draußen wirklich passiert war. Sie stiegen langsam aus.
Es war nicht einfach nur eine Frau, die dort neben dem Wagen im Schnee saß und entschuldigend die Arme hob, als sie Haller und Barth bemerkte, es war das Christkind. „Schuldigung!“, murmelte die Frau im schneeweißen Kleid mit goldenen Flügeln und einem Krönchen auf dem Kopf mit einem verlegenen Lächeln, erhob sich und strich sich ihr Kleid glatt. „Ich bin ein bisschen durcheinander, deshalb bin ich ausgerutscht, und dadurch wäre Ihnen fast … Es ist nämlich weg!“
Was ist dieses „Es“, fragten sich die Kommissare. Stand es für ein Rentier, das dieses Christkind den ganzen Tag treu begleitet hatte und ihm nicht von der Seite gewichen war? Oder für ein unbekanntes Fabelwesen, das seine Arbeit ohne Verabschiedung kurzfristig beendet hatte und einfach nach Hause gegangen war? Die beiden Polizisten sahen sich aufmerksam um, wie Polizisten es tun, konnten aber nirgends ein „Es“ entdecken – verständlicherweise, es war ja nach der Aussage des Christkindes auch nicht mehr da.
„Vorhin hatte ich es noch und jetzt habe ich es nicht mehr.“
So kompliziert, wie Haller und Barth befürchtet hatten, war es dann aber doch nicht. „Es“ stand in diesem Fall und an diesem Abend einfach für das Smartphone der Frau, das verschwunden war. „Vorhin hatte ich es noch und jetzt habe ich es nicht mehr. Möglicherweise hat es mir sogar eine meiner Kolleginnen, die ich heute nacheinander besucht und denen ich jeweils ein Geschenk überreicht habe, aus meiner Tasche gestohlen.“
Haller gab sich als Polizeibeamter zu erkennen und die Frau atmete auf. Barth nicht, der verdrehte nur die Augen. Nachdem er erfolglos versucht hatte, den Kollegen Haller am Ziehen seines Dienstausweises zu hindern. Barth wollte keine neue Ermittlung. Nicht an diesem Abend, nicht in dieser Straße und schon gar nicht bei diesem Wetter. Denn er wusste, was nun geschehen würde, und genau das geschah auch, als Haller entschied: „Wir kümmern uns um die Angelegenheit und bringen Ihnen Ihr Handy zurück, also dem Christkind!“
Wollte Haller die potenzielle Lieferantin seiner eigenen Weihnachtsgeschenke milde stimmen, sozusagen in Vorleistung gehen und sich so später das Vortragen eines Gedichtes bei der Geschenkübergabe ersparen? Christoph Barth wusste es nicht und er wollte es auch nicht wissen, deshalb schüttelte er nur den Kopf. Das Telefon würde schon wieder auftauchen, alle Handys tauchten irgendwann wieder auf. Und wenn nicht, konnte sich die Frau doch zu Weihnachten noch schnell ein neues wünschen.
Auf die Befindlichkeiten seines Kollegen nahm Haller keine Rücksicht, konnte Haller keine Rücksicht nehmen, denn er war schon völlig in die Befragung des möglichen Diebstahlopfers vertieft. Und die Frau hatte so einiges von ihrem anstrengenden Arbeitstag als Christkind zu erzählen. „Nach dem Mittag war ich bei Alicia, auch sie hat wie alle anderen ein größeres und ein kleineres Geschenk bekommen. Jenny am frühen Abend und Rhea am Vormittag auch, obwohl ich die eine Dame nicht leiden kann und mich mit der anderen gerade gestritten habe. Wo war ich noch? Bei Mandy natürlich, die ist mir von allen die Liebste, deshalb besuchte ich sie auch schön gemütlich vor dem Mittag und blieb bis zum Mittagessen. Yvette am Nachmittag.“ Das Christkind lächelte. „Interessant, wie man die Menschen erlebt, wenn man im weihnachtlichen Auftrag der Firma unterwegs ist: Ilka vorhin am späten Abend war schon sehr müde, Bea am Morgen dagegen noch überhaupt nicht munter.“
Sie erinnerte sich an ihr Mobiltelefon, das sie ab und zu zum Nachschauen auf der Lieferliste benutzt hatte. „Nach dem vierten Besuch noch vorhanden, vor dem sechsten aber nicht mehr. Ich dachte, es liegt im Auto, aber im Auto dachte ich dann nicht mehr daran. Bis eben …!“
Können Sie Haller helfen? Wissen Sie, wer die Täterin war?
ENDE
Die Auflösung finden Sie auf S. 50