... zweitens wächst unser Verbrauch immer noch stark an. Im Dezember 2020 hat das israelische Weizmann Institute of Science bekannt gegeben, dass die Masse aller vom Menschen produzierten Materialien inzwischen so groß ist wie die Masse allen Lebens auf dem Planeten. Die Zahl der neuen Gebäude, Straßen, Fahrzeuge und Produkte verdopple sich alle 20 Jahre.
WIR MÜSSEN EIN PAAR ZÄHNE ZULEGEN
Wenn wir den nachfolgenden Generationen einen lebenswerten Planeten hinterlassen wollen, müssen wir dringend unser Wirtschaften ändern. Das ist die eindringliche Botschaft des in den Niederlanden lebenden Österreichers Harald Friedl, einem Vorreiter der Kreislaufwirtschaft. Harald Friedl kritisierte kürzlich, dass die drei bedrohlichsten Umweltherausforderungen – Klimakrise, Verlust der biologischen Vielfalt und schwindende Ressourcen – nicht schnell genug angegangen würden. Er mahnte deshalb: „Wir müssen zwei, drei Zähne zulegen!“ Es sei dringend notwendig, gemeinsam die richtigen Schritte für eine zukunftsorientierte, wettbewerbsfähige und menschenbasierte Wirtschaft zu setzen. Harald Friedl war drei Jahre lang CEO der Non-Profit Organisation „Circle Economy“ mit Sitz in Amsterdam. Die Niederlande sind beim Recycling im EU- Vergleich an der Spitze. Im Jahr 2017, so berichtet Brigitte Karigl, Leiterin Kreislaufwirtschaft beim Umweltbundesamt, lag deren zirkuläre Materialverbrauchsrate bei 29,7 Prozent, in Österreich bei nur 11,6 Prozent. Der Weltdurchschnitt liegt bei 9 Prozent.
DOCH WAS BEDEUTET KREISLAUFWIRTSCHAFT KONKRET?
Die Firma Philips, Hersteller von Gesundheitstechnologie und Haushaltsgeräten mit Sitz in Amsterdam, hat ihre Magnetresonanz-Scanner von einem Verkaufs- auf ein Leasingmodell umgestellt. Dafür werden gebrauchte Geräte von speziell ausgebildeten Techniker*innen abgebaut, generalüberholt, auf neuesten Stand gebracht und wieder verleast. Das spart laut Philips bis zu 50 Prozent Energie sowie Treibhausgase – und den Kund*innen Geld.
In den Niederlanden könne man auch Jeans leasen, erzählt Friedl – er trägt sie selbst. Bei der Firma MUD zahlt man dafür ein Jahr lang monatlich 9,95 Euro, danach kann man die Hose behalten oder gegen eine neue tauschen, die dann monatlich 8,95 Euro kostet. Die Jeans sind hochwertig aus Bio- und recycelter Baumwolle gefertigt, die Hersteller*innen erhalten einen fairen Preis. Auch das mittlerweile recht bekannte Fairphone, das so fair wie möglich produziert wird und bei dem einzelne Bestandteile einfach ausgetauscht werden können, kommt aus Amsterdam.
Anregende Beispiele aus Österreich findet man auf www.circularfutures.at des Umweltdachverbands: Die 2016 gegründete NGO Fairmittlerei z.B. übernimmt fabriksneue, aber unverkäufliche Produkte von Industrie und Handel als Spende und vermittelt diese an gemeinnützige Organisationen in Österreich. Dadurch wird Abfall reduziert und die Vereine sparen Geld.
Ein interessantes junges Unternehmen ist auch das Start-up Kern Tec, das in Herzogenburg (NÖ) aus Kernen aus der Fruchtverarbeitung Kosmetikprodukte, Backwaren oder Fitnessriegel herstellt. Wenn man einmal anfängt, in Kreisläufen zu denken, entstehen viele Ideen und neue Geschäftsmodelle
EU-RECHT AUF REPARATUR
Reparierfähigkeit von Geräten muss bis zu zehn Jahre nach dem Kauf garantiert werden, Ersatzteile sind binnen 15 Arbeitstagen zu liefern.
ABFALL ALS ROHSTOFF DENKEN
Im Jahr 2018 fielen in Österreich 579 Kilogramm Siedlungsabfälle pro Kopf an. Wir liegen damit in der EU an fünfter Stelle – nach Dänemark, Malta, Deutschland und Luxemburg. Recycelt wurden in Österreich rund 58 Prozent der Abfälle, der EU- Durchschnitt liegt bei 48 Prozent.
Österreich glänzt beim Sammeln von Abfällen vor allem in den traditionellen Bereichen Glas, Metall und Papier. 95 Prozent der Bürger*innen entsorgen Glas über die Sammelcontainer und helfen damit, rund 260 Millionen KWh elektrische Energie pro Jahr gegenüber der Glasherstellung aus Primärstoffen zu sparen. Glas hat den Vorteil, dass es nahezu unbegrenzt immer wieder eingeschmolzen und zu neuen Gläsern und Flaschen verarbeitet werden kann. Die Sortierung in Weiß- und Buntglas ist außerdem für alle leicht verständlich und unkompliziert.
Monika Piber, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit bei Austria Glas Recycling, einem Unternehmen der ARA, führt die hohe Sammelquote auf die lange Tradition zurück. Ab 1946 wurden verschiedene Altstoffe gesammelt, weil man nach dem Zweiten Weltkrieg zu wenig Primärrohstoffe hatte. In den 1970er-Jahren machte der Ölpreisschock deutlich, wie wertvoll Rohstoffe sind, in den 1980er- Jahren nahm die Sorge um die Umwelt zu.
Zwei Nachteile von Glas als Verpackungsmaterial sind, dass die Herstellung derzeit mit Erdgas erfolgt und dass Glas schwer ist, der Transport also mehr Energie benötigt als der von Kunststoffen. Die Glashersteller würden deshalb daran arbeiten, leichteres Glas zu entwickeln und den Energieeinsatz zu optimieren, sagt Piber. Noch besser wären mehr Mehrwegverpackungen, am besten in wenigen standardisierten Formen und Größen. Viele Firmen wünschen heute zwecks Branding aber spezielle Formen oder Farben für ihre Bier- oder Weinflaschen.
Kunststoffe sind leichter, aber schwieriger zu recyceln, weil es so viele verschiedene Mischungen gibt und die Konsument*innen nicht erkennen können, welche Art von Kunststoff sie gerade in der Hand haben. Der Bedarf an Forschung und Entwicklung ist daher hoch, vor allem auch, weil die EU bis 2029 weit höhere Sammel- und Recyclingquoten verlangt, als Österreich derzeit leistet. Eine Direktive der Europäischen Union sieht vor, dass im Jahr 2025 mindestens 77 Gewichtsprozent der Einwegplastikflaschen getrennt gesammelt werden müssen, steigend auf 90 Prozent im Jahr 2029. Derzeit werden in Österreich 70 Prozent gesammelt.
CIRCULAR ECONOMY IST MEHR ALS RECYCLINGS
Beim Recycling sei Österreich prinzipiell sehr gut und in der Umweltwirtschaft auf gutem Kurs, sagt Brigitte Karigl vom Umweltbundesamt. Sehr ausbaufähig sei aber Repair, Reuse, Refurbish, also Maßnahmen, mit denen Produkte länger in Gebrauch gehalten werden können.
Immerhin vergaben oder vergeben mehrere Bundesländer einen Reparaturbon für Elektro- und Elektronikgeräte. Laut einer Eurobarometer-Umfrage würden 77 Prozent der EU-Bürger*innen ihre Geräte gerne reparieren lassen, doch es ist nach wie vor schwierig, die Produzenten oder Händler davon zu überzeugen. Die Europäische Union hat nun mit den am 1. März 2021 in Kraft getretenen neuen Ökodesign-Vorschriften sozusagen das Recht auf Reparatur verankert. Hersteller von elektrischen Haushaltsgeräten und Bildschirmen werden damit verpflichtet, die Reparierfähigkeit von Geräten längerfristig zu garantieren. Ersatzteile und Informationen für Wartung und Reparatur sind, je nach Gerätetyp, bis zu zehn Jahre nach dem Kauf zur Verfügung zu stellen und Ersatzteile binnen 15 Arbeitstagen zu liefern.
Das stellt die Hersteller vor neue Herausforderungen, eröffnet aber neue Chancen für Firmen, die Reparaturen anbieten möchten. Das Reparatur- und Servicezentrum R.U.S.Z. in Wien, gegründet 1998 vom „Nachhaltigen Gestalter 2020“ Sepp Eisenriegler, bietet mit seinem neuen Franchising dafür eine gute Basis.
Die vielen Fahrradwerkstätten, die in den vergangenen Jahren im urbanen Raum neu entstanden sind, zeigen ebenfalls, dass das Reparieren in manchen Bereichen boomt. Die Lieferschwierigkeiten bei neuen Fahrrädern aufgrund der Pandemie sind ein zusätzlicher Anreiz, Fahrräder zu reparieren oder aus alten Teilen neue zu bauen.
Auch im Bereich von Bekleidung, Möbeln und vielem mehr entstehen durch Reparatur und Upcycling neue Chancen für Unternehmensgründer*innen oder bestehende Werkstätten. Ein Hindernis sind derzeit die Arbeitskosten, die Reparaturen oft teurer machen als den Neukauf eines Produkts, das in einem fernen Billiglohnland hergestellt wurde. Ändern würde sich das, wenn z.B. der Transport durch eine CO 2-Steuer verteuert und die Lohnkosten gesenkt würden.
Großen Aufholbedarf hat Österreich bei Maßnahmen, mit denen Produkte länger genutzt werden können (repair, reuse, refurbish).
BRIGITTE KARIGL, UMWELTBUNDESAMT
CIRCULAR ECONOMY BY DESIGN
Um den Weg zur Kreislaufwirtschaft schneller gehen zu können, müssen wir in Österreich weniger Primärrohstoffe verbrauchen. Erreichen könnten wir das, indem wir weniger produzieren, bestehende Produkte länger verwenden und für die Herstellung neuer Produkte Sekundärrohstoffe oder weniger Rohstoffe einsetzen. Für alle diese Bereiche ist das Design von Produkten und Produktionsprozessen entscheidend.
„Viele Unternehmen denken Kreislaufwirtschaft vom Abfall her. Man muss aber so designen, dass möglichst kein Abfall entsteht“, sagt Ursula Tischner, Gründerin und Geschäftsführerin von Econcept aus Köln. Die Firma unterstützt Unternehmen, Verbraucher*innen und Organisationen auf ihrem Weg zu nachhaltigeren, zukunftsorientierten Wegen des Produzierens, Konsumierens und Denkens.
Der Kreislauf müsse nicht unbedingt im eigenen Unternehmen geschlossen werden, sondern über Unternehmens- und Branchengrenzen hinweg. Auch könne nicht alles durch biogene Stoffe ersetzt werden. Kunststoff zum Beispiel sei ein gutes Material für viele Anwendungen, man könnte aber Rezyklate statt Primärstoffe verwenden.
WAS SOLL EIN UNTERNEHMEN TUN, DAS SICH ERSTMALIG MIT DEM THEMA KREISLAUFWIRTSCHAFT BESCHÄFTIGT?
Eine umfassende Bestandsaufnahme der Materialien, Produkte und Möglichkeiten machen, rät Ursula Tischner. Optimal wäre es, den gesamten Lebenszyklus eines Produkts anzuschauen, was die Konsument*innen mit dem Produkt machen oder machen möchten, und was nach dem Gebrauch mit dem Produkt geschieht: „Wenn ich mein Produkt aus wertvollem Material herstelle und man es leicht wieder zerlegen kann, dann möchte ich es gerne wieder zurückhaben und das Material wiederverwenden.“
Als Beispiel nennt Ursula Tischner die Firma ESE aus Maastricht, die Abfallbehälter herstellt. Kaputte oder nicht mehr benötigte Container werden gesammelt und in mobilen Einheiten an Ort und Stelle zerkleinert. Das volumenreduzierte Mahlgut wird dann zur nächstgelegenen Produktionsstätte transportiert und zu neuen Behältern verarbeitet.
Ein Vorreiter im Outdoor-Textilbereich ist die Firma Patagonia aus Ventura in Kalifornien, die seit Jahrzehnten kontinuierlich daran arbeitet, noch nachhaltiger und verantwortungsvoller in punkto Rohstoffe und Produktion zu werden. Damit die hochwertigen Stücke lange leben, gibt es ein Reparaturservice. Nicht mehr verwendbare oder nicht mehr benötigte Bekleidung kann zurückgeschickt werden und wird recycelt. Ein Prozent des Umsatzes stiftet Patagonia an Umweltaktivist*innen. Firmengründer Yvon Chouinard hat die Firmengeschichte und seine Philosophie im inspirierenden Buch „Let my People go Surfing“ (auf Deutsch: „Lass die Mitarbeiter*innen surfen gehen“) niedergeschrieben. Wie einige Unternehmen bereits vorleben, sei auch die Vermietung von Produkten statt des Verkaufs überlegenswert, sagt Ursula Tischner. Je länger ein Produkt lebt, umso mehr verdient man dann damit. Ein gutes Kreislaufmodell könne zudem Kosten sparen: Rezyklat ist billiger als Primärmaterial; weniger Abfall spart Entsorgungskosten; weniger Schadstoffe bedeuten weniger Risiken und damit niedrigere Versicherungsbeiträge sowie weniger Krankenstände der Mitarbeiter*innen.
Österreich ist abhängig von Ressourcen aus dem Ausland
In Österreich werden über 40 % der gesamten Materialien, die in der Produktion oder im Konsum gebraucht werden, aus dem Ausland importiert. Im Jahr 2000 lag die Importabhängigkeit noch bei 33 %.
Die Umstellung einer Produktion oder einer ganzen Firmenphilosophie ist zweifelsohne aufwändig und kostet Geld, am Ende zahlt sie sich jedoch aus – auch im Hinblick auf das Unternehmenskarma: Das Bewusstsein der (vor allem jungen) Konsument*innen, dass unser Lebensstil dem Planeten schadet, sei in den vergangenen Jahren gestiegen, beobachtet die Ökodesign-Expertin.
SORGFALT BEI LIEFERKETTEN
Kritische Konsument*innen fordern zunehmend unternehmerische Verantwortung ein – im Hinblick auf Umweltauswirkungen und auf Menschenrechte, was oft Hand in Hand geht. Die OECD hat Leitsätze für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht (Due Diligence Guidance) zur Förderung verantwortungsvoller Lieferketten für Minerale aus Konflikt- und Hochrisikogebieten erstellt. Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (auch Ruggie- Prinzipien genannt), gehören zu den wichtigsten international anerkannten Standards der Verantwortung von Unternehmen für Menschenrechte.
Im Europäischen Parlament wurde am 10.3.2021 der Bericht für ein EU-Lieferkettengesetz mit überwältigender Mehrheit angenommen, der strenge Sorgfaltspflichten für Unternehmen vorsieht. Sie sollen bei ihrer Produktion und ihren Geschäftsbeziehungen negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt vermeiden. Risiken für die Verletzung von Menschenrechten und Umweltstandards müssen auch bei Tochterunternehmen und Zulieferern überprüft werden, außerdem soll es ein Importverbot für Produkte geben, die in Verbindung mit Zwangsarbeit stehen. Die EU-Kommission hat angekündigt, im Juni einen Entwurf vorzulegen, frühestens im Jahr 2022 kann es dann eine europäische Regelung geben.
Derzeit prüft laut einer Studie im Auftrag der EU- Kommission nur jedes dritte europäische Unternehmen seine Lieferketten mit Blick auf Menschenrechte und Umweltauswirkungen. In Deutschland soll ein Lieferkettengesetz ab 2023 kommen, in Österreich wird es von einer Bürgerinitiative gefordert.
2015 hat die EU-Kommission das Maßnahmenpaket für Kreislaufwirtschaft geschnürt und im März 2020 den dazugehörigen Aktionsplan vorgelegt – weitere Schritte sollen folgen. Österreichische Unternehmen finden das prinzipiell gut. Das hat eine Stakeholder-Umfrage zur Kreislaufwirtschaft in Österreich gezeigt, die die Österreichische Gesellschaft für Umwelt und Technik (ÖGUT) im Auftrag des Bundesministeriums für Klimaschutz für die österreichische Kreislaufwirtschaftsstrategie durchgeführt hat. Die Potenziale der Kreislaufwirtschaft liegen nach Ansicht der Befragten in Ressourcenschonung, Umweltschutz, verstärkter regionaler Wertschöpfung und der Schaffung von Arbeitsplätzen. Ein zentrales Anliegen der Stakeholder sind EU-weit gleiche Rahmenbedingungen, um Wettbewerbsverzerrungen zu unterbinden.■
TERMIN
World Circular Economy Forum
13.–15. September 2021, online, www.sitra.fi/en/projects/wcef/