... fünfwegigen Hornsystem: vollaktiv über DSP-Weichen angesteuert und mit Raumkorrektur-Software am Hörplatz auf den Punkt optimiert. Das genießt man eine ganze Weile, schraubt und modifiziert an allen Ecken und Kanten und ist scheinbar auf dem klanglichen Olymp angekommen. Aber – der Schein trügt. Eine seltsame Frustration macht sich breit. Der Schritt nach so einem Monster-Setup ist oft genug ein ungefilterter Breitbandlautsprecher, angesteuert mit einem kleinen Röhrenverstärker.
Vielleicht muss das so sein. Vielleicht muss man erst alle Stufen einer solchen „Karriere“ mitgemacht haben, um eine pure und simple Wiedergabelösung schätzen zu lernen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Dieser Weg ist nicht für Jeden der richtige. Aber für erstaunlich viele Zeitgenossen. Der spanische Hersteller Lyric Audio fertigt Lautsprecher für solche Fälle. Und auch für solche Leute, die es ja schon immer wussten und für die es von vornherein keine Alternative zu einer maximal reduzierten Lösung gibt. Das Schöne an den Lyric-Lautsprechern ist, dass sie ob einer relativ moderaten Preisgestaltung Experimente in dieser Hinsicht möglich machen. Hinzu kommt der Umstand, dass sie überhaupt nicht schräg oder altbacken aussehen, sondern sich völlig problemlos in ein modernes Wohnambiente integrieren lassen.
Moonriver 6
Bei unserem Probanden handelt es sich um die kleinste Standbox im Lyric-Programm zum Paarpreis von 2600 Euro. Sie ist eine knapp meterhohe gelungen gestylte Konstruktion, in der naturgemäß nur ein einziger Treiber Dienst tut, hier ist es einer mit 6,5 Zoll Durchmesser. Die vom Hersteller versprochenen 93 Dezibel Wirkungsgrad sind ein bisschen optimistisch, weil die Box solcherlei Effizienz erst ab dem Mitteltonbereich schafft, darunter gibt’s merklich weniger Schalldruck.
Das allerdings qualifiziert den Wandler ganz eindeutig für den Einsatz unter realen Wohnraumbedingungen, sprich: nicht mitten im Raum, sondern mit geringem Abstand vor der Rückwand. Wie gering, muss der individuelle Fall zeigen, aber 20 Zentimeter sind da durchaus realistisch. Eine übertriebene Anregung der untersten Register braucht man auch so nicht zu befürchten, zumal das voluminöse Bassreflexrohr unten auf der Schallwand austritt.
Gehäuse
Das Gehäuse ist eine hochwertig gefertigte MDF-Konstruktion. Als Oberfläche steht ausschließlich das abgebildete Echtholzfurnier der Spezies „Eiche natur“ zu Verfügung, die aufgesetzte Front ist grundsätzlich mattschwarz lackiert. Deren Vorderkanten sind unten im Bereich des Bassreflexrohres angeschrägt, was der Sache optisch zweifellos gut tut. Beim Gehäuse wurde sogar ordnungsgemäß mit einem Gegenzugfurnier auf der Innenseite gearbeitet, was ich für diese Preisklasse sehr erfreulich finde. In den Boden der Lautsprecher sind Gewindehülsen eingelassen, in die die mitgelieferten Metallfüße mit Filzgleitern eingeschraubt werden (können). Diese Lösung ist so recht weder Fisch (Entkopplung) noch Fleisch (Ankopplung), tut’s aber für den Moment. Wer nicht gleich Geld beim Zubehör-Dealer lassen will, kann den Wandler auch erst einmal ohne die Füße betreiben.
Der Treiber
Das Herzstück der Moonriver 6 ist ein Breitbänder vom chinesischen Zulieferer Lii Audio. Jener hat sich mittlerweile mit einer ganzen Reihe von Fullrange-Wandlern einen Namen in der Szene gemacht. Für den Einsatz in diesem Wandler durfte es das Topmodell der 6,5-Zoll-Baureihe namens „Lii Song Crystal-6“ sein. Und da Sie ja sowieso danach googlen werden: Man kann die Treiber auch direkt in China als (hoffentlich) selektiertes Paar für 500 US-Dollar plus Versand und Einfuhrumsatzsteuer kaufen.
Die Konstruktion des Wandlers ist eine interessante: Als Membran kommt ein goldfarbener Metallkonus zum Einsatz, wobei mich beim „Befühlen“ der Verdacht beschleicht, dass es sich auch um eine metallisierte Kunststoffmembran handeln könnte. Sie wird von einer großzügig dimensionierten weichen Sicke geführt, bei deren Material ich auf Schaumstoff tippen würde. Die Verklebung mit der Membran ist perfekt sauber ausgeführt.
Wohl auffälligstes Merkmal des Treibers ist der „zehneckige“ Schwirrkonus. Der exotische Kelch ist innen am Membranhals angebracht und soll der Hochtonwiedergabe auf die Sprünge helfen. Dieses Teil ist definitiv aus dünnem Blech gefertigt. Innen auf dem Polkern sitzt ein Acryl-Phaseplug, der die Abstrahlung bei hohen Frequenzen verbessern soll.
Das Ganze hängt in einem aufwändigen Gusskorb aus zwei verschraubten Teilen. Über den Magneten lässt sich der Hersteller nicht aus, ich würde aber vermuten, dass in dem Topf Neodym werkelt. Die vom Hersteller angegebenen Parameter erscheinen durchaus realistisch. Eine Reso- nanzfrequenz von gut 56 Hertz passt, die Gesamtgüte liegt im gut bassreflextauglichen Bereich, das moderate Äquivalentvolumen passt dazu. Alles in allem scheint die sehr gut gefertigte Konstruktion im hier verwendeten Gehäuse gut aufgehoben zu sein.
Frequenzweiche
Eine irgendwie geartete Filterung gibt es in der Moonriver 6 nicht. So gar nicht. Keine Entzerrung, keine Kompensation, nichts. Der Treiber hängt direkt an den Anschlussklemmen. Das macht den Job nicht einfacher, gilt andererseits aber als heiliger Gral beim Betrieb von Breitbandlautsprechern.
Details
Das fast ohne zusätzliche Streben und Stabilisierungen auskommende Gehäuse ist sparsam gedämmt, das passt zum Konzept: Hier soll nicht viel Schall „hängenbleiben“. Auffällig ist der Einsatz einer augenscheinlich hochwertigen Innenverkabelung. Wie bei Breitbandlautsprechern üblich, sollte man den Moonriver 6 ordentlich Einspielzeit geben, direkt aus dem Karton schlagen sie sich definitiv unter Wert.
Klang
Den Versuch, die Lautsprecher frei im Raum stehend zu betreiben habe ich schnell wieder aufgegeben, da kommt unten herum einfach zu wenig. Mit den er- wähnten 20 bis 30 Zentimetern Abstand zur Rückwand wird dann ein Schuh daraus. Das macht aus den Moonriver 6 keine Bassmonster, lässt die schwedischen Improvisationsrocker Kungens Män aber eine glaubhafte Atmosphäre generieren, bei der ein schön sonorer Tieftonpart unabdingbar ist. Ein wenig aufpassen muss man bei der Aufstellung der Wandler. Mit direkt aufs Ohr zielenden Breitbändern gibt‘s ein bisschen reichlich Pfeffer in den Präsenzlagen, hier hilft es, die Lautsprecher ein wenig nach außen zu drehen. Wie weit, hängt von ihrem Abstand zueinander ab. Blechbläser klingen auf solchen Wandlern immer gut, weshalb man fürs Setup besser nicht nur John Coltrane-Platten heranziehen sollte. Viel besser geht das mit einer Stimme, da darf auch gerne mal ein Adele-Album ran. Wenn man mit diesem zweifellos beeindruckenden Organ eine korrekte Tonalität erreicht hat, ist man schon fast am Ziel. Der Trick beim Betrieb dieses Wandlers ist jedoch der richtige Verstärker. Und selten waren die Klischees so zutreffend wie bei diesem Lautsprecher: Es muss eine kleine Röhre sein. Als Volltreffer erwies sich tatsächlich einmal mehr der Cayin-Kopfhörerverstärker HA-300 MK II aus dem letzten Heft. Die Moonriver 6 lieben die 300B. Die Haken und Ösen in der Wiedergabe verschwinden, alles fließt, es klingt extrem geschmeidig. Die erwähnten Schweden haben sich perfekt eingegrooved, es tönt weiträumig und locker. Das passt auch hervorragend zu Terje Rypdals 1978er Album „Waves“, von Aufnahmelegende Jan Erik Kongshaug meisterlich warm und detailliert eingefangen. Über die Lyric-Box klingt es atmosphärisch dicht, delikat und einladend. Sehr gut.
Holger Barske
Messtechnik-Kommentar
Der Frequenzgangschrieb der Lyric offenbart deutlich, dass sie für den Betrieb vor einer Wand konzipiert ist. Frei im Raum geht es unterhalb von 500 Hertz merklich bergab. Im Mittel- und Hochtonbereich zeigt die Membran des Breitbänders nennenswertes Eigenleben, der schmalbandige Einbruch bei vier Kilohertz ist jedoch nicht weiter schlimm. Bei entsprechender Einwinkelung lässt sich so etwas wie Linearität erreichen, der Frequenzgang reicht bis etwas über 15 Kilohertz. Der Wirkungsgrad liegt realistisch bei etwa 90 Dezibel an 2,83 Volt, das ist recht gut. Der Impedanzschrieb offenbart Acht-Ohm-Verhalten, Lage und Ausprägung der beiden Impedanzspitzen im Bass zeigen eine sehr tiefe Gehäuseabstimmung, was den frühen Pegelabfall erklärt. Der Klirr bei 85 Dezibel Schalldruck ist absolut in Ordnung, das Wasserfalldiagramm zeigt zwei deutliche Ausschwinger bei knapp drei und acht Kilohertz, typisch für eine solche Konstruktion.