... SchŽbitz, Mitglied der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) und Chefarzt fr Neurologie am Evangelischen Klinikum Bethel in Bielefeld
Tina Olsson stand gerade vor ihrem Kleiderschrank, um den Koffer fr eine anstehende Reise nach DŽnemark zu packen, als es passierte. „Ich hatte ein T-Shirt in der Hand und pl”tzlich wurde mir schwindlig“, erinnert sich die ehemalige Sachbearbeiterin. „Also setzte ich mich kurz aufs Bett. Als ich wieder aufstehen wollte, bin ich einfach umgefallen.“ Ihre gesamte linke Seite war gelŽhmt. Tina Olsson konnte nur noch undeutlich sprechen. „Mein Gesicht fhlte sich an, als ob ich beim Zahnarzt eine BetŽubung bekommen hŽtte“, sagt sie. „Da war mir klar: Es ist ein Schlaganfall.“
Jede Minute zŽhlt
Wie Tina Olsson ergeht es jŽhrlich rund 270 000 Menschen in Deutschland, etwas mehr als die HŽlfte sind Frauen. Ein Schlaganfall ist immer eine lebensbedrohliche Situation, in der jede Minute zŽhlt: „Time is brain“ - „Zeit ist Gehirnmasse“, sagen Žrzte dazu. „Je schneller die Behandlung beginnt, desto geringer ist das Risiko, dass SchŽden zurckbleiben“, erklŽrt Prof. Wolf-Rdiger SchŽbitz von der Deutschen Schlaganfall- Gesellschaft (DSG).
Einen Schlaganfall kann jeder bekommen, auch junge Leute. Allerdings steigt das Risiko mit dem Alter: Sechs Prozent der ber 75-JŽhrigen sind jŽhrlich betroffen, aber nur ein Prozent der unter 55-JŽhrigen.
Tina Olsson hatte Glck. Ihr Sohn war im Zimmer nebenan, als sie vor dem Kleiderschrank zusammenbrach. Er erkennt den Ernst der Lage und wŽhlt sofort den Notruf 112. Keine zehn Minuten spŽter ist der Rettungswagen da und bringt die Dsseldorferin zur Klinik. Mit einem Katheter ”ffnen die Žrzte das verschlossene GefŽá, durch das sich ein Blutgerinnsel im Gehirn bilden konnte - und retten so der damals 57-JŽhrigen das Leben.
„Ein Schlaganfall macht sich durch Symptome bemerkbar, die von jetzt auf gleich - also schlagartig - auftreten“, weiá Prof. Klaus Faábender, Direktor der Klinik fr Neurologie am UniversitŽtsklinikum des Saarlandes. Welche Symptome sich genau zeigen, hŽngt davon ab, welcher Teil des Gehirns betroffen ist. Die hŽufigsten Anzeichen fr einen Schlaganfall sind:
Seh- und Sprachst”rungen
LŽhmungen
Taubheitsgefhle
Schwindel
Schluckbeschwerden
Heftige Kopfschmerzen.
Jedes Symptom allein ist Grund genug, sofort den Notruf 112 zu wŽhlen. Mit dem sogenannten FAST-Test lassen sich SchlaganfŽlle auch von Laien gut erkennen (s. Grafik rechts).
GrundsŽtzlich gibt es zwei verschiedene Arten von SchlaganfŽllen:
den ischŽmischen und
den hŽmorrhagischen Schlaganfall (s. Grafik rechts).
„Bei mehr als 85 Prozent handelt es sich um einen ischŽmischen Schlaganfall“, erklŽrt Prof. Klaus Faábender. Dabei ist ein HirngefŽá entweder durch einen Blut-Pfropfen (Embolie) verstopft oder durch Ablagerungen verengt (Arteriosklerose). Die Folge: Teile des Gehirns werden nicht mehr ausreichend mit Blut und Sauerstoff versorgt, Gehirnzellen sterben ab.
Bei einem hŽmorrhagischen Schlaganfall hingegen platzen BlutgefŽáe im Gehirn auf, meist ausgel”st durch zu hohen Blutdruck oder geschwŽchte GefŽßwÄnde. Das Blut wird dann in das umliegende Gewebe gepumpt, drckt auf die empfindlichen Nervenzellen und zerst”rt diese.
„Nach meinem Schlaganfall kam Aufgeben fr mich nie infrage“ Tina Olsson (62) verbrachte nach ihrem Schlaganfall fnf Wochen in einer Reha und macht bis heute Physiotherapie
Hoher Cholesterinspiege
Diabetes
Herzrhythmusst”rungen (Vorhofflimmern)
šbergewicht
Rauchen
FamiliŽre Vorbelastung
Stress.
Vorsorge rettet Leben
„Mehr als die HŽlfte aller SchlaganfŽlle lieáen sich verhindern, wenn man rechtzeitig die hirnversorgenden BlutgefŽáe untersuchen und bei Verengungen behandeln wrde“, meint Dr. Michael Lichtenberg, PrŽsident der Deutschen Gesellschaft fr Angiologie. Wenn sich GefŽáe verengen, sprechen Mediziner von einer Carotis-Stenose. Die k”nnen sie bei einer Ultraschall- Untersuchung der Halsschlagader entdecken. Sobald es einen Verdacht dafr gibt, bernimmt die Kasse die Kosten fr das Screening. Ansonsten ist es eine individuelle Gesundheitsleistung, die zwischen 50 und 90 Euro kostet und privat bezahlt werden muss.
Eine Carotis-Stenose verursacht erst einmal keine Schmerzen und lŽsst sich in der Regel problemlos operativ entfernen. Je nach Diagnose legen Žrzte bei einem minimal-invasiven Eingriff einen Stent, um die Engstelle zu weiten. Bei Vorhofflimmern, oft eine Folge der CarotisStenose, staut sich Blut in den Herz-Vorh”fen an, kann verklumpen und ein Gerinnsel bilden, was die BlutgefŽáe verschlieát. Deshalb verordnen Žrzte in diesem Fall meist Blutverdnner. Auch ein zu hoher Cholesterinspiegel und Blutdruck werden mit Medikamenten behandelt, um das Schlaganfall- Risiko zu senken.
„Ich kriege das wieder hin - daran habe ich nie gezweifelt“
Dr. Dierk Heimann (51) bekam vor fnf Jahren einen Schlaganfall
Noch in den 80er-Jahren war ein Schlaganfall meist t”dlich. Oder die Betroffenen wurden zum Pflegefall. „Zum Glck hat sich in den vergangenen Jahren in der Behandlung sehr viel getan“, erlŽutert Prof. Wolf- Rdiger SchŽbitz. „Heute stehen die Chancen gut, keine oder nur geringe dauerhafte SchŽden davonzutragen.“
Auch Tina Olsson hat sich gut von ihrem Schlaganfall erholt. Eine fnfw”chige Reha half ihr dabei. „Aufgeben kam fr mich nie infrage“, sagt sie. Weil sie manchmal noch Probleme mit dem Gleichgewicht hat, nimmt sie ab und an einen Gehstock und geht zweimal in der Woche zur Krankengymnastik und Ergotherapie. Auáerdem macht die 62-JŽhrige auf dem Laufband oder Stepper regelmŽáig Sport. Eine Risiko-Patientin war Tina Olsson nie. Was den Schlaganfall dann ausl”ste? Ihre Žrzte mutmaáen, es k”nnte Stress gewesen sein.
Dass Patienten wie Tina Olsson einen ischŽmischen Schlaganfall gut berstehen, verdanken sie drei neuen, verbesserten Behandlungen:
Eine mit Robotern untersttzte GerŽte- Therapie hilft, schnell wieder mobil zu werden
Die sogenannte Lyse-Therapie ist ein wichtiger Fortschritt bei der Versorgung. Die Patienten bekommen ber eine Infusion einen Blutverdnner, der das Blutgerinnsel in ihrem Kopf aufl”st. „Das ist heute die Standard- Therapie“, erklŽrt Prof. Wolf-Rdiger SchŽbitz. „Noch rund viereinhalb Stunden nach dem Schlaganfall ist sie sehr wirksam, in EinzelfŽllen sogar noch darber hinaus.“
Die andere Verbesserung ist die Thrombektomie, wie sie bei Tina Olsson eingesetzt wurde. Hier kommt ein kleines R”hrchen - ein Katheter - in die betroffene Arterie. Damit k”nnen Blutgerinnsel beim ischŽmischen Schlaganfall wie mit einem Fangkorb aus der Blutbahn gefischt werden. Bis zu 24 Stunden nach dem Schlaganfall ist diese Methode erfolgreich.
Der dritte groáe Fortschritt bei der Behandlung eines Schlaganfalls - egal, um welche Art es sich handelt - sind sogenannte Stroke-Units. Das sind Intensivstationen in KrankenhŽusern, die auf die Behandlung von SchlaganfŽllen spezialisiert sind. Rund 330 solcher Zentren gibt es hierzulande, die von der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft zertifiziert sind.
Dr. Dierk Heimann aus Mainz verdankt sein Leben ei ner solchen Stroke-Unit. Er hŽlt 2015 einen Vortrag in Mannheim, als er pl”tzlich nicht mehr richtig sehen kann. „Alles war verschwommen und mir wurde bel“, erzŽhlt der Arzt, der seine Erlebnisse in einem Buch verarbeitet hat („Wie ein Wunder“, Verlag bene!, 18 Euro).
Spezielle Zentren helfen
Er bittet sein Publikum um eine kurze Unterbrechung und wankt gesttzt aus dem Raum. „Ich konnte schon nicht mehr richtig laufen, meine linke Seite hat gemacht, was sie wollte. Ich musste mich bergeben und war schlagartig unglaublich mde.“ Zum Glck ist ein Betriebsarzt anwesend, der die Zeichen sofort erkennt und dafr sorgt, dass Dr. Dierk Heimann in die UniversitŽtsklinik Mannheim kommt. Dort gibt es eine Stroke- Unit, eine eigene Station fr Schlaganfall-Patienten. Nach einer Computertomografie des Gehirns steht fest: Ein Blutgerinnsel im Gehirn hat den Schlaganfall ausgel”st. Mit der Lyse-Therapie wird das Gerinnsel entfernt. SpŽter stellt sich heraus, dass der 51-JŽhrige gelegentlich Vorhofflimmern hat - so entstanden Blutgerinnsel im Herzen, die zu der Verstopfung im Gehirn fhrten.
Heute, fnf Jahre nach seinem Schlaganfall, nimmt Dierk Heimann vorbeugend blutverdnnende Medikamente und ist bis auf eine leichte Unsicherheit an der linken Seite wieder fit. Geholfen hat ihm auch seine positive Einstellung, meint der 51-JŽhrige: „Ich kriege das wieder hin - daran habe ich nie gezweifelt.“
WIE HOCH IST IHR RISIKO?
Die Deutsche Schlaganfall-Hilfe hat einen Test entwickelt, mit dem Sie einschŽtzen k”nnen, wie gefŽhrdet Sie sind. Kreuzen Sie die zutreffende Antwort an. Die Aufl”sung steht unten
1 Hatten Sie schon einmal einen Herzinfarkt, Schlaganfall oder liegt bei Ihnen eine GefŽáerkrankung vor?
Ja
Nein
2Haben Sie einen dauerhaft erh”hten Blutdruck?
Ja
Nein
3 Ist bei Ihnen der Blutzucker erh”ht?
Ja
Nein
4 Ist Ihr Cholesterin (Blutfett) erh”ht?
Ja
Nein
5 Rauchen Sie?
Ja
Nein
6 Machen Sie w”chentlich weniger als 2,5 Stunden Sport?
Ja
Nein
7 eiIst Ihr Body-Mass-Index h”her als 25?
Ja
Nein
Aufl”sung
Wenn Sie alle Fragen mit Nein beantworten konnten, besteht kein Risiko fr einen Schlaganfall.
Wenn Sie eine der Fragen von 1 bis 4 mit Ja beantwortet haben und noch nicht in Žrztlicher Behandlung sind, ist es ratsam, einen zeitnahen Termin beim Hausarzt zu vereinbaren.
Wenn Sie eine der Fragen von 5 bis 7 mit Ja beantwortet haben, k”nnen Sie durch VerŽnderung Ihres Lebensstils Ihre Gesundheit und das erh”hte Schlaganfall-Risiko positiv beeinflussen.
DAS ZAHLT DIE KASSE
Was bei Vor- und Nachsorge sowie Behandlung erstattet wird
Vorsorge: Das Screening der Halsschlagader bernehmen die Kassen, wenn ein Risiko bzw. Verdacht besteht (z. B. hoher Blutdruck, familiŽre Vorbelastung).
Therapie: Sie setzt sich klassischerweise aus Ergotherapie, Physiotherapie und LogopŽdie zusammen - hier zahlt die Kasse. Relativ neu sind robotikgesttzte GerŽte, die den Gang sowie Arm- und Handbewegungen trainieren und schnelle Erfolge erzielen (s. Foto Seite 67). Keine Kassenleistung, aber es lohnt sich nachzufragen.
Nachsorge: Reha- Maánahmen (stationŽr oder ambulant) bernimmt in der Regel die Kasse.
SCHNELL ERKENNEN & HANDELN
Ein Schlaganfall macht sich durch bestimmte Symptome bemerkbar. Die FAST-Methode hilft dabei, sie zu erkennen
HIER FINDEN SIE HILFE
Informationen fr Betroffene und Angeh”rige gibt’s bei der Deutschen Schlaganfall-Hilfe. Sie bildet auch Schlaganfall-Helfer aus, die Patienten im Alltag untersttzen und Angeh”rige entlasten. Zudem bekommt man dort kostenfrei eine Broschre mit m”glichen Sozialleistungen zum Herunterladen als PDF: www.schlaganfall-hilfe.de
Akut-Versorgung auf vier RŽdern
Mobile Stroke Units (MSU) sind speziell ausgerstete Krankenwagen fr Schlaganfall-Patienten. Die Fahrzeuge haben einen Computer- tomografen (CT) an Bord. So kann schon am Einsatzort eine Aufnahme des Gehirns gemacht werden, um zu klŽren, welche Art von Schlaganfall vorliegt. Per Videokonferenz beraten die Mediziner im MSU gemeinsam mit Kollegen im Krankenhaus dann die richtige Behandlung. Drei solcher Fahrzeuge sind bislang in Deutschland unterwegs: zwei in Berlin, eines in Homburg. Den Nutzen von Mobile Stroke Units bei der Akutversorgung von Schlaganfall-Patienten bestŽtigte krzlich eine Berliner Studie.
Der Mini-Computer „Stroke Angel“ soll die Behandlung von Schlaganfall- Patienten im Krankenhaus doppelt so schnell machen
Fotos: Evangelisches Krankenhaus Bielefeld, FotoKoop, Getty Images/Andrew Brookes, Christof Mattes, Picture-Alliance/Becker&Bredel/Daniel Karmann, privat, Hanna Retz, Your Photo Today/Amelie Benoist; Illustrationen: Getty Images/Pixologicstudio, Picture-Alliance/dieKLEINERT.de/Daniel Matzenbacher (3), Shutterstock.com