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Ich habe gelernt, mich nicht von der Meinung Dritter durchs Leben navigieren zu lassen. Mein wichtigster Kompass bin ich selbst – und die Menschen, die mich gut kennen. Außerdem mache ich den Leuten ja nur ein Angebot und zwinge niemanden, es wahrzunehmen.
Gerade Frauen haben ja oft das Gefühl, es jedem recht machen zu müssen.
Umso wichtiger ist es, sich von der Idee zu verabschieden, alles unter einen Hut bekommen zu wollen. Ich sag immer: Schmeißt diesen Scheißhut weg! Da passt eh nicht alles drunter. Bleibt man als Mutter zu Hause, heißt es: „Wie, das reicht dir?“ Geht man arbeiten, hört man: „Und wer kümmert sich jetzt um die Kinder?“ Die einzig relevante Frage ist, ob man selbst mit sich glücklich ist.
Wie findet man das heraus?
Indem man sich Zeit nimmt, sich kennenzulernen. Oft ist es ja so, dass einen Kritik verunsichert, weil man sich seiner Sache selbst nicht so sicher ist. Was für eine Mutter will man sein? Welche Rolle soll der Beruf spielen? Welche Werte sind einem wichtig? Es hilft manchmal schon, sich die richtigen Fragen zu stellen.
Wofür haben Sie sich entschieden?
Ich habe einen zweieinhalbjährigen Sohn und eine vier Monate alte Tochter und arbeite trotzdem. Weil ich nicht eine Sekunde daran gezweifelt habe, ob ich das überhaupt darf, gebe ich anderen keine Angriffsf läche. Mit den eigenen Entscheidungen einverstanden zu sein erspart viel Stress.
Sind Sie nie zerrissen?
Es tut mir im Herzen weh, wenn mein Sohn morgens weint, weil ich das Haus verlasse. Aber es nützt weder ihm noch mir, wenn ich deshalb den Rest des Tages ein schlechtes Gewissen habe. Stattdessen nutze ich die Zeit, die ich habe, so gut ich kann. Ich bin da, wo meine Füße sind. Wenn ich arbeite, arbeite ich. Wenn ich zu Hause bin, konzentriere ich mich auf meine Familie.
Gibt es trotzdem Situationen, in denen Sie ungeduldig werden?
Grundsätzlich bin ich ein gelassener Mensch. Aber natürlich gibt es Momente, in denen auch ich die Ruhe verliere. Zum Beispiel wenn mein Sohn am Babysitz meiner Tochter rüttelt und ich Angst habe, dass sie rausfällt. Dann werde ich auch mal laut. Mein Tipp: Wenn man merkt, dass man am Rad dreht, hilft es, sich für ein paar Sekunden aus der Situation herauszunehmen, man atmet tief ein und aus und steigt mit klarem Kopf wieder ein. In stressigen Augenblicken ruhig zu bleiben ist eine der wichtigsten Fähigkeiten, die man lernen kann.
„Mit den eigenen Entscheidungen einverstanden zu sein erspart viel Stress“
Mit welchen Coaching-Techniken arbeiten Sie noch?
Es gibt kaum eine Methode, die ich so häufig anwende wie die „Emotional Freedom Techniques“, eine Klopftechnik, mit der über bestimmte Akupressurpunkte energetische Blockaden und Ängste aufgelöst werden. Auch Vergebungs- und Dankbarkeitsrituale sind irre effektiv.
Warum geht es im spirituellen Kontext eigentlich so häufig um Dankbarkeit?
Weil man nicht gleichzeitig dankbar und ängstlich sein kann. Dankbarkeit verändert alles. In Momenten, in denen es vor lauter Verpf lichtungen in meinem Kopf rattert, nehme ich mir Stift und Zettel, schreibe Punkt für Punkt auf, was ich morgen zu erledigen habe, was heute gut gelaufen ist und wofür ich dankbar bin. Danach bin ich entspannter.
Wieso haben so viele Leute Angst davor, nicht produktiv genug zu sein?
Man lernt ja schon in der Grundschule, dass man nur gut ist, wenn man gute Noten schreibt. Die Frage ist allerdings, wovor man sich in Wahrheit fürchtet. Vor der Unproduktivität? Oder vor den Themen, mit denen man sich eigentlich beschäftigen müsste? Dass spirituelles Coaching seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie mehr Leute denn je interessiert, hat viel damit zu tun, dass sie sich plötzlich Fragen stellen, von denen man sich vorher ablenken konnte: Wieso fühlt man sich einsam? Wovor hat man Angst?
Wovor haben die Leute am meisten Angst?
Davor, nicht auszureichen und nicht liebenswert zu sein.
Biografie
Laura Malina Seiler, geboren am 10. August 1986, studierte Politikwissenschaften, Spanisch und Italienisch in Düsseldorf und Istanbul. Bevor sie sich 2016 als Coach selbstständig machte, arbeitete sie als Musikmanagerin. Ihr Unternehmen, das längst siebenstellige Umsätze machen soll, umfasst Kurse, Vorträge, Bücher, Merchandising-Produkte, ein eigenes Magazin (I Am) und ihren Erfolgspodcast „Happy, holy & confident“. Gerade ist Laura Malina Seilers erster Roman „Zurück zu mir“ (Rowohlt Polaris Verlag) erschienen. Sie lebt mit ihrem Partner Paul und den beiden Kindern Carlo und Zoé in Berlin.
Könnte Ihre Vorstellung, dass jeder Mensch glücklich sein und ein „höheres Selbst“ erreichen kann, nicht dazu beitragen?
Ich hoffe, dass es nicht so ist. In meiner Arbeit geht es ja darum, dass die Leute in Kontakt mit sich kommen, um im besten Fall festzustellen, dass da eben überhaupt nichts mehr zu optimieren ist, dass sie gut sind, wie sie sind. Es geht ums Annehmen, nicht ums Besserwerden.
Trotzdem gibt es viele, die keinen Ausweg aus der Stressschleife finden.
Wann wird es Zeit, sich psychologisch beraten zu lassen?
Wenn zu den Stressgefühlen körperliche Symptome kommen. Bei chronischen Schlafproblemen, Kopf- oder Bauchweh würde ich immer raten, sich medizinischen und psychologischen Rat zu holen. Ein Coach kann begleitend unterstützen, aber es gibt eben auch Fälle, wo seine Kompetenz nicht ausreicht.
Was raten Sie in Momenten der totalen Überforderung? Gibt es eine SOS-Übung?
Augen schließen, die Füße auf dem Boden spüren und atmen. Klingt banal, beruhigt aber sofort die Nerven, und der Körper weiß, dass er in Sicherheit ist. Auch Meditation ist ein tolles Tool, um gelassener zu werden. Fünf Minuten am Tag, zum Beispiel während des Zähneputzens oder am Schreibtisch, können einen großen Unterschied machen.
Sie haben sich mit Anfang 20 zum Coach ausbilden lassen. Warum eigentlich?
Die Trennung meiner Eltern hat mich geprägt. Ich war irgendwie immer auf der Flucht vor mir selbst, bin gereist, hab mich abgelenkt. Mit Anfang 20 wurde mir klar, dass ich mich meiner Angst vor dem Verlassenwerden stellen muss. In dieser Zeit habe ich das spirituelle Coaching für mich entdeckt. Für mich ist diese Form von Persönlichkeitsentwicklung wie Magie: In dem Moment, in dem man seine innere Haltung verändert, verändert sich alles um einen herum.