... Verhältnis zu ihnen aufbauen. Die Dringlichkeit, mit der Menschen andere Menschen unbedingt verorten möchten, kann ich verstehen, allerdings weiß ich auch, dass es ein Trugschluss ist, dass die Antwort auf die Frage „Woher kommst du?“ wirklich etwas über mein Gegenüber sagt, weil diese womöglich viel mehr dazu dient, mein eigenes Schubladendenken zu befriedigen. Es ist ein Training, von dieser Gewohnheit abzukommen und sich stattdessen einzulassen auf den Menschen, der es einem früher oder später, wenn es etwas zur Sache tut, von sich aus erzählen wird.
SHIDA BAZYAR
wurde am 2. Mai 1988 in Hermeskeil geboren. Sie war Stipendiatin der Heinrich Böll Stiftung und studierte Literarisches Schreiben in Hildesheim. Ihr Debüt Nachts ist es leise in Teheran wurde mit dem Ulla-Hahn-Autorenpreis und dem Kulturförderpreis der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover 2016 ausgezeichnet.Gerade ist ihr zweiter Roman Drei Kameradinnen erschienen.
VERLOSUNG
SHIDA BAZYAR: Drei Kameradinnen
Kiepenheuer & Witsch, 352 Seiten, 22 Euro
Hörbuch
Gelesen von Banafshe Hourmazdi tacheles!, 568 Min./1 MP3-CD, 20 Euro
BÜCHERmagazin
verlost je dreimal das Buch und Hörbuch „Drei Kameradinnen“ (Kiepenheuer & Witsch/ tacheles!). Teilnahmebedingungen auf S. 4.Viel Glück!
Saya beschäftigt sich mit einem Prozess gegen eine rechtsterroristische Gruppe, die jahrelang im Untergrund gelebt und vorzugsweise muslimische Menschen getötet hat.Dabei fühlt man sich sofort an den NSU-Prozess erinnert.
Die Parallelen zum NSU sind sehr stark und das war mir auch bewusst und wichtig. Der NSU-Prozess war von enormer Relevanz, viele haben ihn jahrelang über die Medien verfolgt und deswegen ist sein Ausgang, in dem eine Menge Fragen unbeantwortet blieben, wie eine Zäsur gewesen. Ich habe in meinem Roman den Ort der Handlung und das Jahr bewusst nicht genannt. Das hat mir die Freiheit gelassen, stark zu fiktionalisieren, und ich war – im Gegensatz zu meinem ersten Roman „Nachts ist es still in Teheran“ – nicht an die Historie gebunden. Ich habe die Fiktionalisierung des NSU so nah an der Realität angelehnt, dass ich hoffe, dass Leser:innen recherchieren, was real und was ausgedacht ist. Mein Eindruck ist, dass die Mehrheitsgesellschaft erschreckend wenig über die Hintergründe weiß. Und dass sich viele Menschen mit meinem Background ungesund viel mit den NSU-Morden beschäftigt haben, weil sie sich selbst angegriffen fühlten.
Nach dem Anschlag in Hanau schrieben Sie in einem Artikel: „Ich war gemeint, meine Familie, meine Freundinnen und Freunde waren gemeint. Wir Menschen mit den merkwürdigen Namen und dem vorteilhaften Teint, wir sind gemeint. Wir sollen nicht existieren. Das ist die Botschaft und sie kam an.“ Wie gehen Sie damit um?
Ich habe das unglaubliche Engagement der Angehörigen der Mordopfer verfolgt. Sie waren mit der Aufarbeitung dessen, was dort alles schiefgelaufen ist, beschäftigt und damit öffentlich sehr präsent. Wenn wir uns ihre Forderungen ansehen – und das sollten wir, denn sie machen die Arbeit, die die Behörden hätten leisten müssen –, finden wir eine Vielzahl an Versäumnissen und Forderungen. Nach Hanau, nach Mölln, nach den NSU-Morden, überall haben die Behörden es geschafft, die Tragödie noch zu verschlimmern. Es scheint, dass die Polizei sowie auch Behörden einen Rassismus internalisiert haben, der den Angehörigen der Opfer ihrer Würde beraubt. Wie sonst soll man sich erklären, dass die Familien in Hanau ihre getöteten Angehörigen erst nach der Obduktion sehen durften? Wie entwürdigend ist das denn? Wenn noch nicht einmal Institutionen dazu in der Lage sind, denen beizustehen, die es getroffen hat, dann ist das ein Armutszeugnis für Deutschland.
„Menschen“, so schrieben Sie, „die von Rassismus betroffen sind, in diesen Zeiten nicht zu fragen, wie es ihnen geht, ist Ignoranz. Von ihnen aber zu verlangen, dass sie diesbezüglich Rede und Antwort stehen, ist grenzüberschreitend.“ Mir erscheint das als Paradoxon. Was wäre denn eine angemessene Reaktion?
Genau diese Schwierigkeit als Realität zu akzeptieren. Rassismus ist hochkomplex und der Umgang damit verlangt uns unendlich viel ab. Wenn wir das leugnen und mit einer „Stellt euch nicht so an!“-Haltung reagieren, statt mit einer „Ich bin damit überfordert“- Einsicht, ist nichts gewonnen. Die gute Nachricht aber ist die, dass zwischenmenschliche Beziehungen grundsätzlich kompliziert sind. Leider haben wir in Bezug auf Rassismus nicht gelernt, was ein richtiger Umgang miteinander sein könnte. Deswegen ist meine Antwort auf Ihre Frage: Eine angemessene Reaktion gibt es nicht. Aber man kann zumindest vorbeugen, um nicht unangemessen zu reagieren. Indem man erstens akzeptiert, dass das alles unendlich schwierig ist, und man zweitens auf sein Gegenüber achtet und mit Feinfühligkeit reagiert.
Literarisch virtuos ist das Fiktionsspiel, das die Erzählerin Kasih mit den Leser:innen betreibt. Sie spricht uns in direkter Rede an, sie erfindet Dinge, sie gibt zu, dass sie „lügt“ und deckt am Ende auf, was sie verschwiegen hat. Welche Bedeutung hat diese Erzählhaltung für Sie?
Das Schreiben einer unzuverlässigen oder vielmehr größenwahnsinnigen Erzählerin lässt mir als Autorin große Freiheit. Ursprünglich hatte ich diese Erzählhaltung nicht geplant, sondern sie ergab sich aus dem Dilemma, in dem meine Erzählerin steckte. Marginalisierte Gruppen sind es gewohnt, dass man ihnen nicht glaubt. Kasih geht es um einen Perspektivwechsel und deswegen schreibt sie gegen alle an, die allzu oft gar nicht daran interessiert sind, die Version der Geschichte zu hören, die nicht ins eigene Weltbild passt. Dabei verstrickt sie sich natürlich immer wieder und muss bei all ihren Verstrickungen und Erzählungen doch einräumen, an welchen Stellen sie und ihre Freundinnen genauso in rassistische Denkmuster gefangen sind wie alle anderen auch.
Immer wieder spricht die Erzählerin ein fiktives Publikum an, dem sie bisweilen Rassismus unterstellt. Wen hatten Sie beim Schreiben vor Augen?
Ein weißes, ihr nicht wohlgesinntes Publikum, das ihren Geschichten misstraut. Kasih ist eine radikal subjektive Erzählerin und sie nimmt damit eine Haltung ein, die ihr die Gesellschaft im wirklichen Leben nicht zugestehen würde: Sie ist machtvoll. Ich finde es wichtig, dass die Form des Romans das Dilemma von marginalisierten Stimmen widerspiegelt und zugleich spielerisch damit umgeht. Auch, um darauf hinzuweisen: Die Formen konventioneller Romane sind vielleicht gar nicht für die Geschichten von Autor:innen wie mir gedacht.
Christiane von Korff studierte Philologie und arbeitet als Journalistin und Autorin. Gemeinsam mit Avi Primor schrieb sie das Buch „An allem sind die Juden und die Radfahrer schuld – Deutsch-Jüdische Missverständnisse“ (Piper)