... 6400 Touren, 3,9 Sekunden für die zulässige Geschwindigkeit fernab von Stadt und Autobahn ergeben doch ein vielversprechendes Paket, oder? In der Tat. Schon kurz nachdem der Sechsender sich in Leerlaufdrehzahl etwas auf Temperatur bringt, stellt sich die Frage, wer denn hier wohl für gehörig Umdrehungen sorgt: die Rebstöcke, die sich links und rechts der Straße der Sonne hingeben, oder der frei saugende Boxer, der trotz zweier Ottopartikelfilter eine Klangkulisse produziert, die ihresgleichen sucht. Wir sind so frei und beantworten die Frage umgehend selbst: Während Wein in der Regel erst nach drei oder vier Gläsern berauscht, setzt beim GT3 Touring sofort ein unstillbares Suchtgefühl ein. Die Gier, das Aggregat ständig und deutlich über 5000 Umdrehungen zu halten, ist grenzenlos, die Gasannahme in diesem Drehzahlbereich fast schon unverschämt.
Flügel oder kein Flügel – ist das eine Frage der Solvenz? Nein, GT3 und GT3 Touring kosten je 170 969 Euro
PORSCHE 911 GT3 TOURING
MOTOR B6, hinten längs • HUBRAUM 3996 cm 3 • LEISTUNG 375 kW (510 PS) bei 8400/min • MAX. DREH MOMENT 470 Nm bei 6100/min • ANTRIEB Hinterrad/Sechsgang manuell • L/B/H 4573/1852/1279 mm • LEER GEWICHT 1418 kg (DIN) • 0–100/200 KM/H 3,9/11,9 s • SPITZE 320 km/h • PREIS 170 969 Euro
Der Sechszylinder stammt grundsätzlich aus dem abgelösten GT3 der Generation 991.2. Porsche spendiert jedoch Komponenten, auf die bereits Speedster und GT3 RS – ebenfalls Generation 991.2 – zurückgreifen durften. Optisch ohne Frage schwerer, stehen auf der Waage keine zusätzlichen Pfunde. 1418 Kilogramm bringt der flügellose GT3 ohne jegliche Mühen in Gang.
Bleibt nach wie vor die Frage, warum der Neue nicht an den Alten heranreicht. Fahrwerk und Lenkung rangieren, auch das keine Überraschung, in der Hitliste mal wieder ganz weit oben, erfährt wieder ein paar Prozentpunkt mehr als der direkte Vorgänger. Das Volant – leider nicht mehr frei von Tasten und Schaltern – führt Richtungswechsel mit schlagartiger Präzision aus, erfreut dazu mit überragen- der Rückmeldung. Die Gründe? Statt auf MacPherson-Federbeine setzt Porsche auf doppelte Querlenker, die auch im RSR zum Einsatz kommen. Dem Fahrwerk quittieren wir noch gerade so das Siegel für minimalen Restkomfort. Ein Modus, der Federn und Dämpfern eine Nuance mehr Raum ließe, stünde dem Wagen blendend. Im Grunde aber geschenkt, wer sich in der Sportschale für 5355 Euro platziert. Wohl kaum ein anderer Sitz besticht so mit Bandscheibenvorfall-Design, erreicht jedoch das genaue Gegenteil, hinterlässt selbst nach Stunden ohne Pause keinen Grund zur Klage.
Unumstrittenes Glanzstück nach dem Boxer: das Getriebe. Die hier gebotene Ansammlung und Konstruktion verschiedener Teile gleicht einem Gedicht von Goethe, einer Komposition von Bach, einer Skulptur von Michelangelo. Mit geschmeidiger Leichtigkeit, aber ebenso feinmechanischer Akribie, fährt der Knauf durch die Gassen, motiviert regelrecht dazu, die Kulisse unter hoher Drehzahl stoisch immer und immer wieder abzuarbeiten. Aufpreisfrei gibt’s das erste Mal beim Touring das Siebengang-PDK, das zusätzliche 17 Kilogramm wiegt. Die Box mit acht Gängen aus den anderen Varianten fällt raus, da sie noch weitere Kilos addieren würde. Wer vorrangig die Landstraße aufsucht, den Touring nicht als Pendlermobil nutzt, der bleibt besser beim manuell zu verwaltenden Getriebe.
Verliert der Touring die Sekunden auf seinen vorfahrenden Vorfahren, weil einfach kein Flügel am Heck thront? Wohl kaum. Der ausfahrbare Spoiler, wie wir ihn bereits vom Basis-992 kennen, trägt seinen Teil bei, wenn auch nicht so gekonnt wie der Schwanenhals-Flügel des regulären GT3. Nein, mit dem Wagen stimmt letztlich alles, der neue GT3 Touring ist mal wieder Ingenieurskunst erster Güte, in Zeiten, in denen wir uns mit großen Schritten dem reinen E-Verkehr nähern, die perfekte Alternative. Der Grund dafür, dass der Alte dem Neuen ständig entflieht: Im ersten GT3 sitzt der Mann, der Mythos, die Legende: Walter Röhrl. Im neuen GT3 hingegen nur ein Bewunderer beider Ikonen.