... Max Richter flanierten Demi Moore, Christy Turlington, Naomi Campbell, Cara Delevingne und Bella Hadid durch eine weitläufige Halle, in der als Set-Design Glasboxen als Parabel für das aktuelle Lebensgefühl aufgestellt waren. Auch Kate Moss machte, übrigens erstmalig in derselben Show wie ihre Tochter Lila Grace, ihre Aufwartung. Aber genug der klingenden Namen – und hin zu der textilen Aussage: Inspiration hinter der Kollektion war der Roman „Orlando“ von Virginia Woolf, ein prägendes Werk, das die Frage der Geschlechter-Identität zum Inhalt hat, und die „Bloomsbury Group“, mit der sich der gebürtige Brite schon über viele Jahre hinweg befasst. Umgesetzt wurde die Thematik mittels fließender Stoffe und weiten Silhouetten – damit bricht Jones ganz eindeutig mit seiner bisherigen Vorliebe und Paradedisziplin, der luxuriösen Streetwear, und knüpft an die Historie des Hauses an. Gerade mit den wallenden Capes als einen der zentralen Schnitte beweist er allerdings, dass sein Trendgespür auch in der Haute Couture zum Einsatz kommt. Um Trends drehten sich auch die Präsentationen des Labels Area und die Kollektion des kürzlich verstorbenen Alber Elbaz und seiner neuen Marke AZ Factory, die zwar beide während, jedoch nicht im Rahmen des offiziellen Kalenders ihre Stücke zeigten. Eine opulente Zurschaustellung von Handwerkskunst und reichlich Swarovski-Steinen (rund eine halbe Million) seitens des New Yorker Labels stehen dabei den sportlich-eleganten Entwürfen des israelischen Modelieblings gegenüber.
Neue Realität
Gerade die Entwürfe von Alber Elbaz verdeutlichen, dass sich selbst die Haute Couture nicht der neuen Lebenssituationen entziehen kann, und so zeigten auch Traditionshäuser eine gesteigerte Zahl an alltagstauglichen Modellen anstelle des üblichen Defilees an ausufernden Abendroben: Bei Chanel etwa wählte man als zentrales Thema eine Hochzeit im intimen Familienkreis.
Virginie Viard demonstriert meisterlich, wie gut sie sich darauf versteht, ihre Vision der Marke für Frauen der unterschiedlichsten Generationen zu übersetzen und ihren variierenden Ansprüchen gerecht zu werden. Von bodenlangen Rüschen-Röcken, kombiniert mit einer vom Smoking- Hemd inspirierten Bluse, bis zu schicken Tweed-Kostümen, der Paradedisziplin des Hauses, wurde eine breite Palette gezeigt, die mühelos zwischen Tages- und Abendoutfits ebenso wie zwischen formeller Eleganz und jugendlichem Esprit wechselt. Eine Glanzleistung, die in dieser Saison auch bei Valentino geglückt ist. Mit seiner jüngsten Kollektion erfindet Pierpaolo Piccioli die Marke und ihren Zugang zur Haute Couture neu. Deutlich reduzierter als gewohnt setzt er auf raffinierte Schnitte, edle Materialien und Signalfarben. Kombiniert wurden sie zu schwindelerregenden Plateau-Schuhen, die wie maßgeschneidert zu Lady Gaga, Gesicht des neuesten Duftes von Chanel, zu passen scheinen und beweisen, dass man selbst bei einem minimalistischen Ansatz nicht auf eine gewisse Theatralik verzichten möchte.
Großer Auftritt
Italienische Grandezza, gepaart mit französischem Savoir-faire, gab es bei Dior zu sehen. Maria Grazia Chiuri nahm Spiritualität und die Kunst des Tarot-Kartenlesens zum Anlass für ihre spektakulären Designs. Aufwendig bestickte Capes und Roben, die mit Transparenz spielen, finden sich in der Kollektion ebenso wie eine Hommage an das „Bar Jacket“, einem charakteristischen Entwurf aus den Archiven des Hauses. Auch Kaftan- Mäntel spielen eine große Rolle und verdeutlichen die Referenzen an die Renaissance. Letztere ist ein gutes Stichwort, denn eine solche feierte auch Georges Hobeika mit seiner ein wenig später als üblich präsentierten Kollektion „The Ritual of the Spring Moon“, bei der der libanesische Designer sich ebenfalls mit Spiritualität und dem Mystischen auseinandersetzt. Eine Ode an die Weiblichkeit, die mit romantischen Elementen spielt und durch Transparenz und Stickereien eine weitere Dimension erschließt. Das voller Sinnlichkeit strotzende Video verdeutlicht nur noch mehr, dass in den aktuellen Zeiten neben einem praktikablen Zugang auch der Eskapismus notwendiger und zeitgemäßer denn je scheint. Selbst wenn es sich also aktuell noch um wenige Minuten vor dem Bildschirm handelt, verheißen die Kollektionen doch auf lange Sicht hin die Rückkehr zur Lebensfreude und zum Fest für die Sinne.
In der aktuellen Saison zeigt sich die Haute Couture vielseitig: Spirituelle Inspirationen stecken dabei hinter den fantasievollen Entwürfen der beiden Routiniers Dior und Georges Hobeika, wobei der libanesische Designer ein wenig später als seine Kollegen seine neue Kollektion präsentierte. Ausgesprochen tragbare Looks konnte man dafür bei Armani Privé, Fendi und Valentino entdecken. Die beiden Letzteren zeigten diese Saison auch Modelle für die Herren der Schöpfung – ein weiteres Indiz für die Öffnung des so exklusiven Segments für ein breites Publikum.