... Tierreich bis hin zu einer göttlichen Dimension handelt. Eine andere Interpretation geht davon aus, dass es immer um das menschliche Leben geht – selbst, wenn symbolisch Tiere oder Götter dargestellt sind. Die tierische Dimension wäre beispielsweise ein Leben, das ohne die spezifisch menschliche Dimension – die Vernunft – gelebt wird.
Ganz außen werden die zwölf „Nidanas“ beschrieben, die Abschnitte des „Bedingten Entstehens“, die die Art und Weise beschreiben, wie die Seele wiedergeboren wird. In diesem Artikel geht es jedoch um das Zentrum bzw. um die Essenz: um den Menschen, der in der lichten Hälfte des Rades aufsteigt und auf der dunklen Seite absteigt, was auf die permanente Möglichkeit des Auf- und Abstiegs des Bewusstseins hindeutet. In der Radnabe findet sich die Ursache für den Fall des Bewusstseins in die trügerische Welt von Mara: die drei Geistesgifte, die das gesamte Rad in Bewegung halten: die Schlange als Symbol für den Hass, der Hahn als Symbol für die Gier, das Schwein als Symbol für Unwissenheit oder Verblendung.
Die Darstellungen der Buddhas in den sechs Welten sowie außerhalb davon weisen auf die permanente Möglichkeit der Erlösung hin. Wie? Indem man in sich die drei Geistesgifte erkennt und transformiert.
DER HAHN IN DIR ODER DIE GIER
Hühner verbringen viel Zeit damit, nach jedem Korn und Wurm zu picken. Ihr Lebensfokus ist meist ein kleiner Bereich Boden, den sie begierig nach Essbarem durchforsten. Inwieweit verhalten wir uns manchmal wie Hühner – den Blick gespannt auf ein paar „Körner“ gerichtet, kaum den Blick zu höheren oder weiteren Horizonten richtend? Der Gier liegt eine anhaftende Geisteshaltung zugrunde. Das kann der Schokoriegel sein, den ich jetzt „unbedingt brauche“, die neuesten Nachrichten auf dem Handy oder die Zahl der Likes für eines meiner Fotos. All das hat einen Aspekt der „Dringlichkeit“, des „um jeden Preis Haben-Müssens“. Aber wer muss das haben? Ich selbst oder der Hahn in mir? Letztendlich ist Gier auf eine Form des Mangels zurückzuführen. Mit etwas Achtsamkeit können wir erkennen, dass die Erfüllung vieler Wünsche keine echte Befriedigung schafft, sondern immer wieder neue Wünsche generiert. Natürlich werden wir nicht ganz ohne Wünsche leben, aber wir können bewusst auswählen, welchen Wunsch wir uns erfüllen, ob der gerade drängende wirklich so wichtig ist oder lediglich kurzfristige Genugtuung schafft …
SUBTILERE FORMEN VON GIER
Gier beziehungsweise Anhaften kann sich auch in Vergangenheit oder Zukunft bemerkbar machen. In der Vergangenheit als fehlende Fähigkeit, Dinge loszulassen („damals war alles besser, die Studienzeit war die beste meines Lebens, danach ging alles bergab, damals war mein Körper noch schön ...“) und in der Zukunft als Erwartung und Hoffnung auf etwas, dass uns dann zukünftig Zufriedenheit geben soll. Die gesamte westliche Welt mit all ihren Problemen ist wie ein kollektiver Ausdruck von Gier, die aus einer endlichen Welt immer mehr und mehr herausschlagen will mit den Folgen der ökologischen Katastrophe. Ein weiterer Ausdruck ist das Streben nach ewigem (physischem) Leben, das im Transhumanismus gipfelt.
WAS TUN?
• Nicht jedem Impuls sofort nachgehen. Viktor Frankl appelliert an unser menschliches Bewusstsein, wenn er sagt: „Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.“
• Die vergängliche Natur jeder äußeren Befriedigung vor Augen führen und stattdessen nach dauerhaftem Glück suchen: Wenn der Genuss vorbei ist, was dann? „Reich ist, wer weiß, dass er genug hat“, lautet ein weiser Ausspruch, der auf Laotse zurückgehen soll.
• Den Geist auf andere Dinge richten: Wir können gleichzeitig nicht an zwei Dinge denken. Den Geist mit einem erhebenden Zitat füllen oder einem schönen Gedicht …
• Geben. Heilung entsteht auch durch das Erlebnis von Verbundenheit und diese wird durch Geben und Großzügigkeit gefördert.
DIE WELT DER HUNGERGEISTER
Im Bhavachakra wird die Welt der gierigen Menschen dargestellt als Hungergeister oder „Pretas“: Wesen mit riesigen Bäuchen, schmalen Mündern und dürren Hälsen. Der aufgeblähte Bauch steht für alle Begierden, die die Geister heimsuchen. Diese Gier kann wegen der schmalen Münder und Hälse nie gestillt werden. Es ist ein Leben des unstillbaren Durstes nach mehr: mehr Party, mehr Kick, mehr Besitz, mehr Prestige etc. Jede Erfüllung eines Wunsches generiert wieder einen neuen Wunsch …
2. DIE SCHLANGE IN DIR ODER DER HASS
Hass wird durch eine ablehnende Geisteshaltung charakterisiert – das Prinzip „ich mag das nicht, weg damit!“. Auch wenn das Gefühl des Hasses ein Extrem darstellt, das nicht oft auftritt, so gibt es die ablehnende Geisteshaltung in vielen Formen. Nyanaponika, ein buddhistischer Mönch der Theravada-Tradition spricht von folgenden Gefühlen als zur Gruppe des Hasses gehörend: Abscheu, Ärger, schlechte Laune, Wut, Abneigung, Ressentiments. Auch beim Hass ist es ähnlich wie bei der Gier: Man denkt, man kann den Hass loswerden, indem man das Objekt, das Abneigung erzeugt, loswird. Doch was, wenn bald danach das nächste Ungewollte passiert? Was, wenn die Dinge, die ich ablehne, nicht in meiner Macht stehen wie zum Beispiel das Verhalten eines Familienangehörigen oder Nachbarn? Letztlich muss ich akzeptieren, dass ich nur einen sehr kleinen Teil meines Lebens kontrolliere. Vieles liegt nicht in meiner Macht: Ich kann mich darüber aufregen, dass viele Dornen am Weg liegen, oder Schuhe anziehen.
WAS TUN BEI ABLEHNENDER GEISTESHALTUNG?
• Loslassen. Eine Geschichte berichtet von zwei tibetischen Mönchen, die sich über ihre Zeit in einem chinesischen Gulag, einem brutalen Arbeitslager, unterhalten. Der eine fragt den anderen: „Hast du deinen Peinigern schon vergeben?“ Der zweite: „Niemals!“ Darauf der Erste: „Dann halten sie dich immer noch gefangen.“
• Mitgefühl: „Metta“. Der Dalai Lama praktiziert dies sogar in Bezug auf die chinesischen Belagerer, die unsägliches Leid über das tibetische Volk gebracht haben. Mitgefühl heißt, sich in den anderen hineinversetzen zu können. Zu erkennen, dass auch im Gegner ein fühlendes Wesen steckt, das gefangen ist in seinen Einstellungen und Fanatismen. Ihn zu hassen, bringt nichts. Nur über das Mitgefühl kann eine Annäherung passieren. Dies heißt jedoch nicht, mit allem einverstanden zu sein!
• Die Ursache finden: Ist der Hass oder die Ablehnung wirklich gerechtfertigt? Was hat das mit mir zu tun? Wo habe ich in anderen Lebensbereichen ebenfalls blinde Flecken? Im Buddhismus wird dies die „analytische Meditation“ genannt, die die Ursachen des Schmerzes ergründet und so das beste Heilmittel finden kann. Dies muss allerdings jeder selbst aktiv tun.
• Den Hass „anlachen“. Ihn nicht so ernst nehmen. Mit Humor ist alles leichter …
WELT DER HÖLLE
Die Welt der ablehnenden Geisteshaltung ist die Welt des Kampfes gegeneinander. Die Welt der Ablehnung, des Hasses und aller giftigen Emotionen. Lebensphasen, in denen wir Gefangene sind unserer eigenen Ängste, Hass- und Neidgefühle und damit anderen, aber am meisten uns selbst schaden.
3. DAS SCHWEIN IN DIR ODER DIE VERBLENDUNG
In den Lehrreden des Buddha wird die Verblendung (Sanskrit: moha) als das Grundübel angesehen, aus dem auch die anderen Geistesgifte, Hass und Gier, entstehen. In einem Pali-Text heißt es: „Verblendung ist des Elends Wurzelgrund. Unwissenheit ist Quelle aller Krankheit. Sie schlägt den Geist mit Blindheit und schafft die Welt des stummen Tiers.“ Das Tückische an der Unwissenheit ist, dass sie uns meist nicht so leicht auffällt und nicht so störend ist wie die Gier oder der Hass. Oft erkennen wir die eigene Verblendung erst viel später … Was ist die Ursache von Verblendung? Mangelndes Denken. Manche denken nun vielleicht: „Aber ich denke ja sowieso die ganze Zeit! Mein Verstand arbeitet ja immerfort …“. In der östlichen Philosophie werden zwei Arten des Denkens unterschieden: das automatische Denken und das höhere Denken. Ersteres ist wie ein Affe: unstet, springt von einem zum anderen, kreist um die eigenen Bedürfnisse oder die eigenen Ablehnungen, schwer zu bändigen … Das höhere Denken ist wie ein Elefant: stabil, stark, ruhig, gelehrig (in Indien das Symbol der Weisheit). Dieses Denken gilt es zu entwickeln und zu üben!
Was sind subtilere Formen davon? Zu diesem Thema schreibt Nyanaponika: Fanatismus, Dünkel, Verwirrung, Stumpfsinn, Vorurteile. Alles in allem ist es die Welt der Meinungen: sich ein Urteil zu bilden, ohne tiefer nachzudenken.
WIE ÜBERWINDET MAN DIE UNWISSENHEIT?
• Die Lektüre eines Philosophiemagazins ist schon ein guter Anfang. Doch um wirklich vorwärtszukommen, sollte über das Gelesene mindestens so lange nachgedacht werden wie die Zeit, die man zum Lesen brauchte. Die russische Philoso- phin H. P. Blavatsky empfiehlt sogar sieben Mal so lange …
„Verblendung ist des Elends Wurzelgrund. Unwissenheit ist Quelle aller Krankheit. Sie schlägt den Geist mit Blindheit und schafft die Welt des stummen Tiers.“
Aus einem Pali-Text
• Die eigenen Meinungen überprüfen: Was weiß ich wirklich über die Themen der Weltpolitik oder sonstigen Gesprächsstoff und wo wiederhole ich nur andere Meinungen?
• Ein Erfahrungstagebuch: Was hat mich der heutige Tag gelehrt?
• Das Nachdenken über erhabene Themen der Philosophie wie die Vier Erhabenen Wahrheiten, den Edlen Achtfachen Pfad …
DIE WELT DER TIERE
Sie ist ein Leben in Unbewusstheit. Ein Leben, das den Instinkten folgt. Ohne Nachdenken über das Leben, ohne Reflexion: immer den einfachen Weg gehen; davonlaufen, wenn man Angst hat; angreifen, wenn man wütend ist; schlafen, wenn man müde ist …
Gemäß der buddhistischen Philosophie haben wir unser Schicksal selbst in der Hand. Wir entscheiden Tag für Tag, ob wir uns tiefer in die Welt von Mara hineinziehen lassen, oder ob wir bewusst gemäß unseren Wertevorstellungen handeln. Jeder Gedanke, jede Emotion und jede Handlung prägen uns und die Welt. In jedem Moment säen wir Karma, also handeln wir, wodurch wir Ursachen für zukünftige Ereignisse setzen.
ap
LITERATURHINWEIS: Nyanaponika Mahathera: Die Wurzeln von Gut und Böse. Verlag Beyerlein & Steinschulte, 2008 Chögyam Trungpa: Spirituellen Materialismus durchschneiden. Theseus Verlag, 2017 Dalai Lama, Desmond Tutu und Douglas Abrams: Das Buch der Freude. Lotos Verlag, 2016