... Paris. Damals war ich neun Jahre alt. In der Grundschule beschimpften andere Kinder mich als »dreckigen Schwarzen«. In dem Moment wurde ich, wie ich gerne sage, zum Schwarzen. Auf Guadeloupe war ich einfach nur Lilian, meine Mama nannte mich Lico. Erst in Paris wurde mir klar, dass die Bezeichnung »Schwarz« abwertend gemeint ist und es besser ist, weiß zu sein. White Supremacy, also die Vorherrschaft der Weißen, bildet das Fundament von Rassismus. Und Rassismus ist kulturell gewachsen, genau wie Sexismus.
Als ich ein junger Fußballer war, hieß es, Schwarze Torhüter oder Innenverteidiger seien nicht konzentriert genug und würden früher oder später Fehler machen. Ich frage mich, wie viele junge Schwarze Spieler aufgrund von Vorurteilen daran gehindert wurden, ihre Karriere zu verfolgen. Im Angriff waren Schwarze Spieler akzeptiert. Es hieß, sie wären schnell und hätten ein Talent zur Improvisation, wären kreativ. Schwarzen Verteidigern hingegen unterstellte man mangelnde Konzentrationsfähigkeit. Dazu kam, dass man Schwarzen Spielern oft Tiernamen gab, wie Gepard oder Panther. Gar nicht zu reden von dem Mitspieler (natürlich einem Weißen), der oft zu mir sagte: »Stell dir mal vor, ich hätte neben meiner Spielintelligenz auch noch deine physische Stärke, dann wäre ich unschlagbar!«
Auch als ich in Italien spielte, wurde ich oft mit dem weißen Denken konfrontiert, wenn Journalisten mich fragten: »Was sollte man gegen Rassismus tun?«, als wäre es meine Aufgabe, dafür eine Lösung zu finden, als wäre es allein Sache der Opfer, gegen Rassismus zu kämpfen, als würden die weißen Spieler bei der Verteidigung der White Supremacy keine Rolle spielen. Die Weißen sind nun mal die großen Gewinner der rassistischen Ideologie.
Auch heute bin ich noch mit Rassismus konfrontiert. So fuhr ich zum Beispiel einmal nach Brüssel zu einer Diskussionsveranstaltung mit Studierenden an der Universität. Ich wurde am Bahnhof abgeholt, und wir gingen in ein Restaurant. Es war eines dieser schicken Restaurants, bei denen man am Eingang klingeln muss. Ich ging zur Toilette. Als ich rauskam, trat eine Dame auf mich zu und sagte: »Das ist hier keine öffentliche Toilette!« Ich sah sie an und sagte, es müsse sich wohl um ein Missverständnis handeln. Sie wiederholte: »Das ist hier keine öffentliche Toilette!«, und sie fing an, mich zu duzen. Ich drehte mich zum Barkeeper um und verlangte den Inhaber zu sprechen. Der Barkeeper erkannte mich und wirkte verlegen. Die Frau verschwand. Ich kehrte zu den anderen Gästen zurück, die mir vorschlugen, das Lokal zu verlassen. Das lehnte ich zunächst ab. Schließlich beschlossen wir, gemeinsam doch zu gehen. Niemand von den Beschäftigten hielt es für nötig, sich bei mir zu entschuldigen. Das weiße Denken entschuldigt sich grundsätzlich nicht. Es ist immer eine schwierige Situation, wenn man Rassismus erlebt. Da steht oft Aussage gegen Aussage, und die, die sich rassistisch äußern, geben es nicht zu. Ich finde meine eigene Reaktion auf diesen Wortwechsel in dem Restaurant interessant: Erst versuchte ich, mir nichts anmerken zu lassen und tat so, als wäre es halb so schlimm. Ich wollte niemanden damit behelligen, keinen Skandal lostreten, sonst hätte es am Ende noch geheißen, ich hätte ihn ausgelöst. Sogar ich habe das weiße Denken also verinnerlicht. In einer Gesellschaft, die nicht zugibt, dass es Rassismus gibt, hat der Antirassismus keine Priorität. Man sieht die Probleme überall sonst auf der Welt, nur nicht im eigenen Land. Und da man die Existenz des Rassismus leugnet, müssen Nichtweiße weiter unter ihm leiden.
Als ich ein junger Fußballer war, hieß es, Schwarze Torhüter seien nicht konzentriert genug
Es gibt da noch eine Anekdote, die sich erst kürzlich zugetragen hat: Meine Frau, mein älterer Sohn und ich verließen gegen Mitternacht ein Restaurant. Wir gingen zu einem Taxistand, um ein Taxi zu nehmen. Der erste Taxifahrer gab uns ein Zeichen: Nein, ich nicht. Dann deutete er auf das nächste in der Reihe. Wir gingen etwas überrascht zum nächsten Wagen. Der zweite Taxifahrer erteilte uns ebenfalls eine Absage und schickte uns zurück zum ersten Taxi. Ich wurde langsam sauer. Mein Sohn sagte: »Dann lassen wir es eben.« Ich ging zum dritten Taxi. Der Fahrer sagte zu mir: »Ach, Monsieur Thuram, die anderen haben Sie wohl nicht erkannt!« Der Fahrer wusste also, was da vor sich ging und dass das keine Ausnahme war. Es war zur Gewohnheit geworden. Als Schwarzer Mensch erlebt man solche Affronts immer wieder. Immer wieder wird dir signalisiert, dass du als Schwarzer ein potenzielles Risiko darstellst. Man steckt dich in eine Schublade, die mit einem negativen Etikett versehen ist.
Am 7. Februar 2022, einen Tag nach dem Spiel Senegal gegen Ägypten, treffe ich auf der Straße einen jungen Mann. Er spricht über Senegals Sieg und sagt: »Ich war mir sicher, Senegal würde im Elfmeterschießen verlieren.« Ich frage: »Aber wieso?« Er antwortet: »Wenn die Blacks Elfmeter schießen, habe ich immer so meine Zweifel.« Darauf sage ich: »Elfmeterschießen ist nur eine Frage der Technik, entweder man beherrscht sie oder nicht, das ist keine Frage der Hautfarbe.« Er bleibt dabei: »Ja, schon, aber ich habe immer meine Zweifel, wenn die Schwarzen Elfmeter schießen!« Das weiße Denken ist eine politische Ideologie, die bis heute in jedem von uns ihr Unwesen treibt.
Aus dem Französischen von Cornelia Wend
* Das Wort »weiß« ist vom Autor bewusst kursiv gesetzt, um es als soziale Konstruktion zu kennzeichnen, mit der Privilegien einhergehen.