Sebastian Keller ist Erzieher und arbeitete bis vor Kurzem in der Leipziger Kita Biedermann. Besonders für vaterlos aufwachsende Kinder sind Ansprechpartner wie er ein Segen.
Das Attribut mütterlich hat in der Leipziger Kita Biedermann einen neuen, maskulinen Klang. Sieben der hier arbeitenden 20 Pädagogen sind Männer, in fast jeder Gruppe arbeiten eine Frau und ein Mann gemeinsam. „Wir wollen ein möglichst normales Abbild der Gesellschaft“, sagt Tanja Drewermann, eine der beiden Leiterinnen der Kindertagesstätte. „Da gehören die Männer dazu.“ Sebastian Keller, 27, geboren in Bad Dürkheim, war bis noch im Sommer einer von ihnen.
Zwölf Jungs und Mädchen zwischen drei und sechs Jahren, darunter zwei Körperbehinderte, wuseln herum, malen, kneten, tollen auf dem Sofa. Sebastian ordnet ihre Bastelsachen, hilft, gibt Anweisungen. „Ihr wisst ja: Erst wird abgestimmt. Und dann entscheide ich“, sagt er mit feiner Ironie. Die Kinder kichern.
Gerade hat Aljoscha unsanft Gustav gehauen. Der kommt weinend angelaufen, schmiegt sich auf Sebastians Schoß, erzählt mit tränenerstickter Stimme, was passiert ist. Sebastian hört ihm genau zu, streichelt, tröstet: „Ruh dich erst mal aus.“ Während dessen gleitet sein Blick weiter durch den Raum. Alles unter Kontrolle.
Von klassischen Rollenklischees will der ausgebildete Erzieher nichts wissen. Wenn man ihn nach möglichen Unterschieden zwischen Männern und Frauen in der Kita fragt, antwortet er: „Bei uns zum Beispiel ist das andersherum. Meine Kollegin ist wild und baut an der Werkbank Roboter. Ich backe lieber Geburtstagskuchen.“ Zu ihr gehen sie zum Toben, zu ihm kommen sie kuscheln. „Jeder macht das, was er am besten kann“, sagt Sebastian und genießt diese Freiheit sichtlich. „Es ist herrlich, morgens so herzlich empfangen zu werden. Wo hat man das schon?“
Als Mann in diesem frauendominierten Beruf wird er vor allem von denjenigen Kindern gebraucht, die allein bei ihrer Mutter aufwachsen. Sie vermissen ihren Papa und suchen stärker als andere den Kontakt zum männlichen Erzieher. Für sie ist Sebastian ein Segen.
Als er sich nach der Realschule entschloss, eine Erzieherausbildung zu machen, hat ihn ein Verwandter für verrückt erklärt. „Damit kannst du doch keine Familie ernähren!“ Als aber in der Kita von dessen Kind unter lauter älteren Damen ein männlicher Praktikant auftauchte, änderte sich die Meinung schlagartig: „Eine tolle Sache.“ Ähnlich ergeht es einzelnen Eltern oder Großeltern, die ihr Kind in der Kita Biedermann anmelden, die vom Verein Internationales Bildungs- und Sozialwerk getragen wird. „Für sie ist es ein Lernprozess, dass die männlichen Erzieher die Arbeit genauso gut können wie die Frauen“, erzählt die zweite Leiterin Anke Bornmann. Das sei eben keine geschlechtsspezifische Frage. „Die charakterlichen Unterschiede der Kollegen sind viel größer.“
In seiner Ausbildung in Mainz war Sebastian Keller allerdings ein Exot: Allein unter Frauen. Deutschlandweit sind keine drei Prozent seiner Kollegen Männer. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) will daher seit Anfang des Jahres mit einem millionenschweren Pilotprogramm mehr Männer in den Beruf holen. Langfristiges Ziel ist ein Anteil von 20 Prozent – ein weiter Weg.
Foto: Kirsten Nijhoff