... Und, wie teuer wohnst du inzwischen? Das ist kein Witz, sondern Alltag in der Hauptstadt und anderen Metropolen. Was vor wenigen Jahren kaum politisches oder gesellschaftliches Thema war, ist zum omnipräsenten Gegenstand von Gesprächen, Demonstrationen, politischen Debatten und Medienbeiträgen geworden. Denn: In den Ballungsräumen Deutschlands, aber auch in mittleren und kleinen Städten wird Wohnen immer teurer. Ein Glücklicher, der sich noch an einen alten Mietvertrag klammert oder gar vor ein paar Jahren zu heute läppisch erscheinenden Preisen kaufen konnte. Die Wirtschaft und die Politik kennen vor allem eine Antwort auf die neue Misere: bauen, bauen, bauen. Was dabei in Baulücken, Hinterhöfen, auf Dächern und in neuen Siedlungen entsteht, sind aber vielerorts hochpreisige Wohnungen. Es bleiben drängende Fragen der sozialen Gerechtigkeit und der ökologischen Folgen dieser Verdichtung.
Durchschnittlich 16,65 Euro pro Quadratmeter kostet eine neu zu vermietende Wohnung in München –kalt.
In den vergangenen zwei Jahren sind die Preise bei Neuvermietung in mehr als 50 kreisfreien Städten und Landkreisen jeweils um durchschnittlich fünf Prozent gestiegen. In den Ballungsräumen waren es sogar mehr als sechs Prozent. Deutschlands teuerste Stadt ist einer Auswertung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) zufolge München, wo eine neu zu vermietende Wohnung durchschnittlich 16,65 Euro kalt pro Quadratmeter kostet. Es folgen Frankfurt am Main (13,09 Euro), Stuttgart (12,62 Euro), Freiburg im Breisgau (11,74 Euro), Ingolstadt (11,28 Euro) und Hamburg (11,14 Euro). In Berlin sind die Angebotsmieten zwar mit rund 10 Euro längst nicht so hoch, aber nirgendwo steigen die Mieten rasanter als in der Hauptstadt. Die Entwicklung der Löhne und Gehälter hält damit bei Weitem nicht mit. Die Mietpreisbelastung steigt entsprechend.
Gut eine Million Haushalte in den 77 deutschen Großstädten müssen laut einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Wohnkosten aufwenden. Eine Entwicklung, die vor allem – aber längst nicht nur – die Geringverdiener trifft. Will man verstehen, wie es so weit kommen konnte, dass Familien, Auszubildende und Studenten in manchen Städten einfach keine bezahlbaren Wohnungen mehr finden, lohnt es, ein wenig auszuholen.
DEUTSCHLAND GALT ALS FERTIG GEBAUT
Nach dem vergangenen Bauboom in der Nachwendezeit zeichneten Statistiker um die Jahrtausendwende ein düsteres Bild. Die Bevölkerung schrumpfe, Deutschland werde in den nächsten Jahrzehnten mehr als zehn Millionen Einwohner verlieren. Fehlender Wohnraum war, bis auf wenige Ausnahmen wie das notorisch überteuerte München, kein Thema in den Kommunen. Entsprechend verkauften viele ihre Wohnungsbestände, um klamme Kassen aufzufüllen, und bauten Fachkräfte für Wohnpolitik in den eigenen Verwaltungen systematisch ab. Prominentestes Beispiel: Dresden, das 2006 seine gesamte städtische Wohnungsgesellschaft an einen privaten Investor verkaufte.
Die verbliebenen kommunalen Wohnungsunternehmen steckten Fördergelder in die notwendige Modernisierung der Bestände, errichteten aber zum Teil jahrzehntelang keine einzige Sozialwohnung mehr. Deutschland galt als fertig gebaut. Das Thema Wohnen verschwand von der politischen Agenda. Kaum einer forschte noch dazu. „Vor ein paar Jahren hätte ich mein Fachgebiet beinahe aufgegeben, das Interesse war einfach zu gering“, sagt Christine Hannemann, Professorin für Architektur- und Wohnsoziologie in Stuttgart. Sie beschäftigt sich seit Ende der 1980er-Jahre mit diesem Bereich.
Es wird viel gebaut in Deutschland , aber für wen? Hunderte Neubauwohnungen entstanden zum Beispiel hier im Frankfurter Europaviertel – die meisten davon im gehobenen Segment.
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Doch dann kam alles anders. „Es gibt einfach Entwicklungen, die sich mit Bevölkerungsprognosen nicht vorhersagen lassen“, so die Wissenschaftlerin. Und meint damit nicht zuallererst den Zustrom von Flüchtlingen in den vergangenen drei Jahren. Schon vorher habe sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt in den Ballungsräumen deutlich angespannt – durch die EU-Binnenwanderung, aber auch durch Familien, die wieder mehr Kinder bekämen und trotzdem innerstädtisch wohnen bleiben wollten. Dazu kamen ein Anwachsen des Niedriglohnsektors und ein entsprechender Bedarf an günstigem Wohnraum.
Die steigende Nachfrage allein hätte längst nicht zu einer derartigen Verteuerung geführt. Eine Entwicklung an den Finanzmärkten wirkte als massiver Preistreiber: In Zeiten extrem niedriger Zinsen sind Investitionen in Immobilien fast die einzigen, die sich noch lohnen. Renditeorientierte Investoren drängen entsprechend auf Neubau. Dazu kommen zum Teil ausländische Investoren, denen der knappe Baugrund, bebaut oder unbebaut, reine Spekulationsmasse ist. Das treibt die Preise in schwindelerregende Höhen. In den Ballungsräumen sind Baufirmen und Handwerker außerdem längst ausgelastet, was die Baukosten genauso verteuert wie die Einhaltung der immer umfangreicheren Auflagen bei Neubauten. Die Folge: Die neu gebauten Wohnungen auf dem freien Wohnungsmarkt, auch das ergeben die Auswertungen des BBSR, gehören oftmals zum Teuersten, was die Wohnungsportale hergeben.
Und auch im Bestand wächst angesichts der Nachfrage das Machtgefälle zwischen Vermietern und potenziellen Mietern. Mit zum Teil im Nutzen fragwürdigen energetischen und Luxussanierungen treiben Vermieter die Bestandsmieten – und ihre Rendite – in die Höhe. Die Mietpreisbremse, ab 2015 in vielen Städten eingeführt, um die Preiserhöhungen bei Neuvermietung auf maximal zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete zu drosseln, gilt Experten als weitgehend wirkungslos. Auch aufgrund der vielen Schlupflöcher: So greift die Mietpreisbremse beispielsweise nicht bei Modernisierung und nicht bei Neubauten.
Zu viele Schlupflöcher, zu mächtige Vermieter: Die Mietpreisbremse gilt Experten als weitgehend wirkungslos.
Weil größere Wohnungen kaum bezahlbar sind, verbleiben inzwischen selbst vierköpfige Familien in Zweiraumwohnungen. Wohnungen, die sich mit dem Hartz-IV-Regelsatz bezahlen lassen, gibt es in vielen Großstadtlagen Deutschlands längst nicht mehr. Wenn Menschen dann in zuvor unvermietbare Bestände – in dunkle, feuchte, laute, heruntergekommene Wohnungen – verdrängt werden und ihre Erwartungen bis an den Rand des Erträglichen herunterschrauben, dann beginnt echte Wohnungsnot. In einem solch angespannten Markt brauchen die Kommunen entweder eigene Bestände oder anderweitig vergünstigte Wohnungen, um auch Geringverdienern den Zugang zu bezahlbarem Wohnraum zu erhalten. Die Sozialwohnungen, die private, genossenschaftliche oder kommunale Wohnungsunternehmen mit staatlicher Förderung errichten, sind aber immer nur für einen bestimmten Zeitraum, meist 15 bis 25 Jahre mietpreisgebunden. Dann können die Eigentümer wieder teurer vermieten.
Seit Jahren endet einer Auswertung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) zufolge bei deutlich mehr Wohnungen die Mietpreisbindung als neue Sozialwohnungen gebaut werden. Aktuell gibt es demnach weniger als 1,2 Millionen Sozialwohnungen in Deutschland, 1990 waren es noch mehr als doppelt so viele. Bis 2020 werden laut BAG W weitere 170.000 Wohnungen aus der Mietpreisbindung fallen.
Aldi baut jetzt Mietwohnungen: In Berlin hat der Discounter schon angefangen, seine einstigen Flachbauten mit Wohnungen aufzustocken. Mehr als 2.000 Wohnungen sollen so entstehen.
Foto: ALDI Nord
Was bleibt also? „Wir müssen unablässig bauen, damit Hamburg eine Stadt für alle bleiben kann“, sagte etwa die Bausenatorin der Hansestadt vor ein paar Monaten. Ihre Amtskollegen in anderen Städten schlagen ähnliche Töne an.
IMMER ENGER? VERDICHTUNG IN DEN INNENSTÄDTEN UND DIE FOLGEN
Die meisten Menschen wollen da wohnen, wo sie auch arbeiten, wo die urbane Infrastruktur stimmt und die Wege kurz sind. Wenn der bestehende Wohnraum nicht mehr reicht, ist ein Weg, der im Moment reichlich beschritten wird: Nachverdichtung. Die sei, so sieht man es beim Hamburger Verband des Naturschutzbunds (NABU), ja erst einmal nicht schlecht. An kaum oder niedrig bebauten Ma gistralen oder über bislang eingeschossigen Supermärkten gebe es noch erhebliche Potenziale. Ein Standpunkt, den auch grüne Politiker und der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) teilen. So wurde etwa die Ankündigung des Lebensmitteldiscounters Aldi, seine bisher eingeschossigen Einkaufshallen künftig in Berlin mit Tausenden Wohnungen aufzustocken, mit viel Applaus aufgenommen.
Das Problem in Hamburg (und andernorts) sei aber die Überverdichtung – in den attraktiven Vierteln, wo ohnehin schon viele auf engem Raum wohnen, aber am liebsten noch mehr hinziehen wollen. Dort lohnt es sich für Investoren zu bauen, weil sie hohe Mieten verlangen können. Versiegelt würden dafür Grünflächen oder grüne Innenhöfe, die für das Stadtklima von Bedeutung sind, konstatiert man beim Hamburger NABU. Die Stadt schrecke aber auch an den Rändern von Hamburg vor Eingriffen in Landschaftsschutzgebiete, Bebauung in Luftschneisen und der Fällung von Stadtwäldern nicht zurück, um neue Flächen für große Bauprojekte zu gewinnen. Der Grünverlust sei bereits jetzt mit ersten Konsequenzen für die Lebensqualität der Bewohner verbunden: fehlende Frischluftzufuhr, Überhitzung im Sommer, weniger Erholungsflächen, die schnell zu erreichen sind. Und natürlich mit dem Verlust von Lebensraum für die Artenvielfalt.
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„In der Einzelbetrachtung wird der Verlust kleinerer Grünflächen oft bagatellisiert, aber mit dieser Salamitaktik ist in den letzten Jahren enorm viel Grün verschwunden“, sagt Birgit Hilmer, Sprecherin des NABU Hamburg. Auf den wenigen neuen Grünflächen, wie etwa dem Lohsepark im neu gebauten Hafenviertel, mit seinen glatt gemähten Rasenflächen und ein paar Schmuckbäumen, sei an Artenvielfalt nicht zu denken.
Der NABU hat Anfang Dezember eine Volksinitiative gestartet, um Hamburgs Grün zu erhalten. Die geforderte Anzahl an Unterschriften habe man locker erreicht, so Hilmer. Hamburgs Regierung soll damit veranlasst werden, den Anteil der sogenannten „grünen Milieus“ in Hamburg – unter anderem Grünanlagen, Kleingärten, Friedhöfe, Parks und Stadtwälder – festzuschreiben und damit langfristig zu sichern.
Das Argument, dass man angesichts des Wohnungsmangels doch dringend bauen müsse, zur Not eben auch auf Grünflächen, lässt man beim NABU Hamburg nicht gelten. „Schauen Sie sich doch an, was da gebaut wird, das sind fast ausnahmslos hochpreisige Wohnungen“, so Hilmer. Die Geringverdiener, die händeringend nach bezahlbarem Wohnraum suchen, hätten davon wenig.
WOHNUNG ALS WARE
Tatsächlich stellt sich neben dem Umweltschutz die Frage, wer da eigentlich für wen baut in den Metropolen. „Für die Städte ist es vordringlich, bezahlbaren Wohnraum für breite Bevölkerungsschichten zu schaffen“, sagt Markus Lewe, Präsident des Deutschen Städtetags. Beim Spitzenverband der Deutschen Städte und Gemeinden weiß man aber auch, dass die Möglichkeiten vor allem in den Ballungsräumen begrenzt sind. In der Masse fehlen den Kommunen schlicht die Grundstücke, die sie selbst bebauen oder gemeinwohlorientierten Bauträgern überlassen könnten. Die Möglichkeit, Immobilien auf dem freien Markt zu kaufen, bleibt angesichts der aktuellen Preise auf wenige Fälle begrenzt. Der Großteil der Neubauten wird also von renditeorientierten Investoren errichtet – mit entsprechenden Preisen. Und weil mit Wohnraum so viel Geld zu machen ist, lohnt sich für diese Investoren auch der Wohnungsbau mit öffentlicher Förderung und damit einer Mietpreisbindung aktuell nicht. Das hat nicht nur soziale Folgen. Das investorenorientierte Bauen, sagt Wohnsoziologin Christine Hannemann, sei auch architektonisch eine Katastrophe: In der Regel ohne jede Anbindung an die lokalen Gegebenheiten, orientiert am Wiederverkaufswert und daher vor allem eines: uniform. „Wohnung als Ware“, nennt es Hannemann.
Die Wohnungsmisere hat das Potenzial, die Gesellschaft zu spalten: Bei einer Demonstration in Berlin protestierten Mieter und Aktivisten gegen steigende Mieten und Verdrängung.
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Auf kaum eine Stadt mag das mehr zutreffen als auf den Spitzenreiter in Sachen Wohnungspreise: München. Am Nockherberg, nah zum Zentrum und zu den Isarauen, wird bis 2023 eines der letzten gewaltigen Bauprojekte in zentraler Lage entstehen – mit 1.500 Wohnungen für 3.500 Menschen. Das einstige Brauereigelände soll offen und zeitgemäß bebaut werden, mit Flächen auch für Gastronomie, Einzelhandel, Kindergärten, Stadtnatur. Aber für wen? Die Käufer der Eigentumswohnungen müssen viel Kapital mitbringen, zwischen 9.300 und 17.000 Euro pro Quadratmeter, und stehen trotzdem Schlange. Ein Teil der Wohnungen soll vermietet werden, aber auch hier werden astronomische Preise erwartet. Immerhin sollen 30 Prozent des Gesamtbestandes nach dem „München Modell“, das es in ähnlicher Weise auch in anderen Metropolen gibt, öffentlich geförderter Wohnraum sein. Diesen Hebel haben die Städte und Länder allerdings nur, wenn sie selbst Verkäuferin der Grundstücke sind oder ehemals anders genutzte Flächen als Wohnraum neu ausweisen. Am Münchner Nockherberg sind es in der Regel die Wohnungen zur Straße hin, im Erdgeschoss, rund um die Gewerbeflächen, die an berechtigte Personen günstiger vermietet werden – aber sie kosten für München paradiesische 10,50 Euro pro Quadratmeter – zumindest für 25 Jahre.
Die bayerische Hauptstadt ist besonders: Weil die Fläche der Stadt etwa im Vergleich zu Hamburg und Berlin eher klein ist, sind die Potenziale für Verdichtung innerhalb der Stadtgrenzen nahezu ausgeschöpft. Aber auch für andere Metropolen gilt, womit man sich in München angesichts der wachsenden Einwohnerzahlen konfrontiert sieht: Wo der Platz innerorts nicht mehr reicht oder eine weitere Verdichtung aus ökologischen Gründen abgelehnt werden muss, kommen die Städte nicht umhin, das Umland zu erschließen. Schon jetzt pendeln 45 Prozent der in München Beschäftigten aus dem Umland ein, in Hamburg sind es nach Zahlen des Bremer Instituts für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) 36 Prozent, in Berlin 22, in Frankfurt am Main und Stuttgart mehr als 60 Prozent.
Bauen um jeden Preis? In den Ballungsräumen werden Grünflächen zu Bauland – mit weitreichenden Folgen für die Lebensqualität der Bewohner und die Artenvielfalt.
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IMMER WEITER DRAUSSEN? DAS UMLAND ENTWICKELN
Um dem sich in Ballungsräumen immer weiter zuspitzenden Wohnungsmangel etwas entgegen zu setzen, müssten sich die Verantwortlichen der Städte die Frage stellen, was urbaner Raum heute überhaupt ist. „Es wäre der falsche Ansatz, nur über den Raum nachzudenken, der durch die Stadtgrenzen definiert ist“, sagt Städtetagspräsident Markus Lewe, der auch Oberbürgermeister von Münster ist. In seiner Stadt denke man inzwischen in einem größeren Radius, die Grenzen zwischen den traditionellen Strukturen „Land“ und „Stadt“ würden fließender. Radschnellwege, eine Schnellbahn und ein moderner Nahverkehr könnten dafür den Weg bereiten.
Auch in Berlin weitet sich die Vorstellungskraft vieler Wohnraumsuchender inzwischen auf das durch den Regionalverkehr erreichbare Umland aus. Doch schon am Stadtrand sieht man die Probleme, die das Schaffen von Wohnraum außerhalb der innenstadtnahen Lagen mit sich bringt. Ganz im Norden will Berlin eine Großbausiedlung mit 10.000 Wohnungen errichten, quasi eine neue Kleinstadt. Dafür müsste ein Erholungsgebiet weichen, in dem manche seit Jahrzehnten in selbst gezimmerten Häuschen wohnen. Seit Bekanntgabe der Pläne gibt es viel Unmut gegen Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke), der ansonsten gern vorgeworfen wird, sie baue zu wenig.
Denn obwohl die Wohnungsmisere inzwischen nicht allein ein Problem von Randgruppen ist und Bauen in weiten politischen und gesellschaftlichen Kreisen als unverzichtbar gilt: Eine Einschränkung der eigenen Wohnqualität wollen bestehende Mieter oder Eigentümer gar nicht gern hinnehmen. Gerade die Gemeinden im Speckgürtel großer Städte wollten häufig keine Armen und Menschen mit sozialen Problemen aus den Städten, sagt Wohnsoziologin Christine Hannemann. Die Zusammenarbeit zwischen den Metropolen und den umliegenden Gemeinden ist vielerorts verbesserungswürdig, heißt es auch vom Städtetag.
Vielleicht muss man noch weiter denken. Es sind ja längst nicht alle Städte und Gemeinden, die von der aktuellen Preisentwicklung erfasst werden. In Münster mag man in einem Radius von 20 statt früher 7 Kilometern denken. Aber irgendwo beginnt fast überall in Deutschland die Provinz, die endgültig keinen Anteil hat am prosperierenden Immobilienmarkt. Da, wo Dörfer noch aussterben, kleine und mittlere Städte schrumpfen. Zwei Millionen Wohneinheiten stehen in Deutschland laut BBSR vor allem in ländlichen Regionen leer.
Um diese Regionen für Menschen aus den überfüllten Städten attraktiv zu machen, braucht es mehr als einen guten Regionalbahnanschluss. Neben ausreichender Gesundheitsversorgung, Schulen, Kitas, Freizeitangeboten sind vor allem Arbeitsplätze nötig. Eine Option, dies direkt zu beeinflussen, kann etwa die Verlagerung von Universitätsfakultäten oder auch Behörden in strukturschwache Regionen sein. In Bayern wird das seit Jahrzehnten gemacht, bislang mit geteilter Resonanz.
IMMER KLEINER? MIKROWOHNEN UND UMVERTEILUNG
Zur Wahrheit in Sachen Wohnungsnot gehört auch: Im Durchschnitt standen den Deutschen nie mehr Quadratmeter als heute zur Verfügung. Die Wohnfläche pro Einwohner stieg laut Statistischem Bundesamt in Deutschland allein zwischen 2000 und 2014 um sieben Quadratmeter, von 39,5 auf 46,5 Quadratmeter. Das liegt unter anderem daran, dass immer mehr Menschen alleine leben oder zunächst als Familien in großen Wohneinheiten, in denen sie dann auch bei schrumpfender Haushaltsgröße im Alter bleiben. Ein Grund: Eine kleinere Wohnung auf dem freien Wohnungsmarkt wird häufig nicht günstiger, sondern in den Ballungsräumen deutlich teurer als die bisherige. Wohnungstausch kann eine Möglichkeit sein, um ältere Menschen in zu großen Wohnungen und junge Familien, die keine großen günstigen Wohnungen mehr finden, zusammenzubringen (siehe Kasten „Biete vier, suche zwei Zimmer“).
Wohnen auf engstem Raum: Die Tiny Houses, auf Deutsch klitzekleine Häuser, sind eine Antwort auf die Tatsache, dass Platz nicht unbegrenzt vorhanden ist.
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In Städten, in denen der Platz immer knapper wird, liegt es aber auch auf der Hand, dass die Wohneinheiten kleiner werden. Das gibt es zum einen als Trend: Mit den Tiny Houses zum Beispiel, bei denen sich Küche, Couch, Toilette, Bett und Arbeitsplatz auf irgendwie auch hippe acht bis zwölf Quadratmeter quetschen. Drei Modelle hat jetzt sogar die Kaffeerösterei Tchibo im Angebot, das billigste kostet 40.000 Euro. Auch vollmöblierte Mikroappartements, etwa für Studenten, erfreuen sich zunehmender Beliebtheit – zum Teil mit Gemeinschaftsflächen, die das geringe individuelle Platzangebot ausgleichen sollen.
Aber auch in öffentlich geförderten Wohnungen wird es kompakter: Im Wohnungsbauprogramm der Stadt München „Wohnen in München VI“ beispielsweise rechnet man inzwischen für Singlehaushalte deutlich weniger Platz ein. Galten bisher 45 Quadratmeter für eine Person als Maß der Dinge, sollen künftig im geförderten Neubau ein Drittel der Singlehaushalte mit Kleinstwohnungen bis 25 Quadratmeter versorgt werden.
Was im sozialen Wohnungsbau Gebot der Stunde ist, gilt längst nicht für den höherpreisigen Neubau in den Metropolen: Hier werden mit Vorliebe großzügige Wohnungszuschnitte ab 100 Quadratmetern angeboten. In Zeiten knappen Wohnraums ist Platz eben Luxus und Mittel der Abgrenzung. Man könnte auch sagen: Nirgendwo zeigt sich die soziale Spaltung derzeit mehr als beim Wohnen. Aber vielleicht ist auch da ein Umdenken möglich und nötig?
AUSBLICK: ES HAT GERADE ERST ANGEFANGEN
Deutschland hat Erfahrung mit der Überwindung von Wohnungsnot: In der Hochphase der Industrialisierung mit ihren wachsenden Städten entstand die heute als besonders attraktiv geltende Gründerzeitarchitektur. Nach dem Ersten Weltkrieg entwarfen namhafte Bauhausarchitekten große Siedlungen für die Wohnungssuchenden. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg ließen Bund und Länder Millionen von Sozialwohnungen bauen. Ansprechende Wohnungen, die bezahlbar sind, das ist jetzt wieder die Herausforderung. Dabei nicht nur ans neu Bauen, sondern auch ans anders Nutzen zu denken, ist eine gesellschaftliche und individuelle Denkaufgabe (siehe Interview).
Es gibt schon jetzt viele Beispiele gelungener und problematischer Ansätze im Umgang mit der Wohnungsmisere. Letztlich aber hat jede Stadt ihren eigenen Charakter, muss ihre eigenen Wege finden bei der Wahrung des Bestehenden und dem Schaffen von neuem, lebenswertem und umweltverträglichem Wohnraum. Trotz allen zeitlichen Drucks braucht es wohlüberlegte Strategien, einen guten Mix aus kreativen und pragmatischen Lösungen. Die Weichen dafür kann und muss die Politik stellen. Die Ansätze aus dem Koalitionsvertrag – ein Baukindergeld für Familien, die Verschärfung der Mietpreisbremse, die Zusage, den sozialen Wohnungsbau weiter zu unterstützen, und ein Umdenken bei der Vergabe von bundeseigenen Grundstücken – gelten Experten zum Teil als gute Signale, aber lange nicht als ausreichend.
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Eine Chance in der aktuellen Wohnungsmisere jedenfalls, das sagt auch Wohnsoziologin Christine Hannemann, ist die Tatsache, dass wieder über das Wohnen gesprochen wird, „als ein kultureller Prozess und als ein Grundthema der Daseinsfürsorge“.