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So muss die Rose wie viele andere Duftpflanzen nicht nur mit ihrer Blütenfarbe die schwirrende Insektenwelt zur Bestäubung verführen. Auch der süße oder würzige Geruch ihres Nektars lockt sie zur Verbreitung des Samens. Am deutlichsten wird dieses „dufte“ Verhältnis bei den Nachtblühern, die genau jene Falter anziehen, die nur bei Dunkelheit für Nahrung sorgen.
Obwohl Witterung oder Standort die Duftzeiten verschieben können, lassen sich doch bestimmte Tagesabschnitte festlegen, an denen die Blumenwelt unsere Sinne mit ihren Düften besonders intensiv betört. Und so wollen wir einmal durch den Tag wandern, immer der Nase nach, und erschnuppern, welche Duftnoten uns wann berücken.
6 bis 9 Uhr 99 bis 11 Uhr 11 bis 14 Uhr
Insekten am Tag
1 Hummeln sind wegen ihrer Temperaturunempfindlichkeit viel länger als Bienen unterwegs. 2 Zitronenfalter Vor allem die Flügel der Männchen zeigen das charakteristische Gelb. 3 Erdhummel Die größte der Hummeln lebt unterirdisch in Erdhöhlen. 4 Distelfalter sind weit gereist, denn sie legen jedes Jahr an die 15.000 Kilometer zurück. 5 Raufüßige Hosenbiene trägt an den Hinterbeinen lange, goldgelbe Sammelhaare. 6 Tagpfauenauge gehört zu den Edelfaltern. 7 Kleiner Fuchs Edelfalter mit großer Flügelspannweite. 8 Biene Fleißige Bestäuberin
14 bis 17 Uhr
ab 15 Uhr
Betörende Morgendufter
Im Frühjahr verströmt in schattigen Winkeln der Bärlauch um die Morgenstunde ganz besonders würzige Aromen – für Kräuterliebhaber ein Grund, just zu diesem Zeitpunkt loszuziehen. Mit ihm duftete die Balsam-Pappel um die Wette, ein Baum mit dem harzigen Geruch frischer Kiefernnadeln. Im Sommer liegt der Garten bereits um neun Uhr ganz im Sonnenlicht, sodass der schwere Duft der Rosen mit dem süß-würzigen Aroma des Lavendels und dem herben Geruch der Kamille pures Sommerglück erzeugt. Am Vormittag haben die Blüten dieser Pflanzen Hochkonjunktur.
Zitronenfalter, Tagpfauenaugen, Wildbienen und Erdhummeln umschwirren das Beet und saugen Nektar aus den geöffneten Blüten. Bis um die Mittagsstunde neue Duftnoten hinzukommen: Das Blaue Lieschen mit seinen zarten Blütchen verzaubert beim höchsten Stand der Sonne mit einer zarten Nuance. Flüchtig streift uns ein Geruch nach Kakao – es sind die leuchtend gelben Blüten der Schokoladenblumen, die bis in den November hinein wie kleine Sonnen das Beet besiedeln. Kommen wir zu den Blüten der Duftpelargonien, deren Stunde ebenfalls um die Mittagszeit schlägt: Ganze Geruchswelten entfalten sich, wenn wir die Blätter der typischen Blattdufter berühren, mit Nuancen, die an Rosen, aber auch an Zimt, Kampfer, Zitronen, Moschus, Pfirsich oder Vanille erinnern. Seit man die Pflanzen im 17.
Jahrhundert erstmals in Europa kultivierte, hat man sie immer wieder nach einzelnen Duftqualitäten selektiert. So entstand eine Vielfalt der Aromen, aber auch der einzelnen Gattungsformen, die diese Geranienart wohl einzigartig sein lässt. Wandern wir weiter durch unseren Garten, der uns trotz der Mittagsglut mit dem Zauber sinnlich betörender Düfte beschenkt. Tausende von Insekten scheinen sich in der Welt zartrosa gefärbter Blütenkerzen zu verlieren, die staudenförmig eine Ecke des Gartens besiedeln. Es ist die Agastache, die mit ihrem fruchtig-heiteren Orangengeruch vor allem die Wildbienen zu emsiger Arbeit verführt. Ein wenig weiter, im Halbschatten, steht der Schneeball, der noch an Ostern mit seinen süßen weißen Blütenbällen die Luft schwängerte.
Seine Zeit ist für dieses Jahr vorbei, doch gleich wird unsere Nase reich entschädigt. Denn mit einer deutlichen Zimtnuance entströmen in den frühen Nachmittagsstunden dem blauen Heliotrop Düfte, die an die Kindheit erinnern. Wie auch bei seinem weißen Verwandten: Der Geruch von Vanille liegt in der Luft, wenn sich die „Sonnenwender“-Blütendolden nach der Sonne drehen, die jetzt immer weiter westwärts wandert.
Die Schatten werden länger
Denn inzwischen ist es Nachmittag geworden. Und ein leiser Windhauch lässt uns innehalten, übermittelt er uns doch den honigartigen Duft des Echten Labkrauts, das mit seinen Tausenden gelben Blüten jetzt seinen intensivsten Moment hat. Eine frische Apfelnote verrät uns den Standort der Apfelgeranien, deren zartrosa Blüten mit den nach Zitrone und Vanille riechenden Dolden des Diptams, des „brennenden Buschs“, ein berauschendes Fest der Sinne erzeugen. Eine Besonderheit dieser Pflanze ist ihre tatsächliche Brennfähigkeit, denn wenn ihre ätherischen Öle verdunsten, kann sie sich bei starker Sonneneinstrahlung selbst entzünden. Rosa-gelb ineinanderfließende Blütenfarben kennzeichnen den Goldlack, der so anmutig nach Veilchen riecht. Und der blaue Sommerflieder, der nicht umsonst seinen Namen trägt, sowie die gelbe Tibet-Primel versammeln an diesem Nachmittag noch einmal unzählige Zitronen-und Distelfalter, Bienen und Hummeln, ehe der Tag zur Neige geht. Denn allmählich übernimmt eine nachtaktive Insektenwelt die Regie. Da ist das Taubenschwänzchen, dessen lang ausgestreckter, feiner Rüssel mal an den würzig-süßlichen Blüten der Alpen-Nelke nippt oder an denen des süß und wild riechenden Duft-Phlox. Mit der an das Aroma von Nelken, Muskat, Zimt oder Vanille erinnernden Note der Levkojen werden jetzt, in der Abenddämmerung, auch die ersten Nachtfalter aktiv.
Insekten in der Nacht
1 Taubenschwänzchen Mit seinem langen Saugrüssel nippt der Schmetterling an tiefen Blütenkelchen, aber auch an Phlox und Levkoje. 2 Schwebfliege Die Larven der Schwebfliegen sind dämmerungsund nachtaktiv. 3 Kleines Nachtpfauenauge Schön gezeichneter Nachtfalter. 4 Schönbär Bei Gefahr zeigt der Falter seine roten Hinterflügel. 5 Birkenspanner ahmt die Birkenrinde nach. 6 Esparsetten- Widderchen Nachtfalter mit vieläugigem Flügelkleid
17 bis 22 Uhr
ab 19 Uhr
19 bis 23 Uhr
21 bis 6 Uhr
Schon nähert sich der erste bräunliche Birkenspanner mit weit ausgestreckten Flügeln. Auch das Kleine Nachtpfauenauge mit seiner kunstvoll gemusterten Flügelzeichnung nutzt die Gunst der Stunde, wenn die Sonne langsam hinter dem Horizont verschwindet. Der betörend süße und liebliche Geruch des Geißblatts, auch Jelängerjelieber genannt, entwickelt sich jetzt noch einmal zu voller Intensität. Denn der Fassadenkletterer verschwendete seine aromatischen Essenzen schon tagsüber, um Hummeln anzulocken. Jetzt aber verströmen die orchideenartig geformten Blüten noch einmal ihre ganze Kraft, um langrüsselige Nachtschmetterlinge wie das Taubenschwänzchen zum Nachtschmaus einzuladen. Und exakt mit dem Sonnenuntergang schließt auch die weiße Lichtnelke, die für ein paar Stunden so wunderbar würzig für ihre Bestäubung sorgte, ihre Blütenblätter über den Kelchröhren, die wegen ihrer Tiefe nur den langrüsseligen Faltern zugänglich waren.
Magie der Dämmerung
Allmählich senkt sich jetzt die Nacht über den Garten. Und mit ihr beginnt das Geraschel, Zischen und Schwirren all der unzähligen Insekten und Falter, die auf der Suche nach Nahrung sind. Noch duftet das Geißblatt betäubend an der Hausmauer, doch werden bis auf wenige Ausnahmen nur mehr weiße Blüten im Halbdämmer ihre Magie entfalten. Die zauberhaften Blütensterne des Flügeltabaks erfüllen den nächtlichen Garten vom Sonnenuntergang bis in die frühen Morgenstunden mit ihrem schweren und süßen Parfüm. Immer wieder sehen wir Insekten an die Staude heranschwirren, um von dem überreich vorhandenen Angebot zu kosten. Auch die eher unscheinbare Ambrosia trägt ihren imposanten Namen zu Recht: Hier sind es die eichenlaubförmigen Blätter, die den süßen und fruchtig-schweren Geruch aussenden.
Doch kein Insekt ist hier zu sehen oder zu hören, denn Ambrosia lässt sich nur vom leisen Nachtwind bestäuben, der auch uns jetzt umfächelt. Und der einen Hauch lieblichen Orangendufts in sich trägt: Die Wunderblume mit ihren rosagelb gefärbten Blüten hat sich geöffnet.
Und noch eine Sensation hält die zunehmend dunkler werdende Dämmerung für uns bereit: Blüte für Blüte geht jetzt die durchdringend duftende, gelbe, großblühende Nachtkerze auf und zieht umherhuschende Nachtfalter in ihren Bann.
Zauber der Nacht
Je tiefer die Nacht, desto deutlicher nehmen wir die sinnlichen Signale wahr, die die Pflanzen an die Tierwelt aussenden.
Ohne Ablenkung durch das Auge riechen wir den süßen, erotisierenden Duft des Nachtjasmins, der wie ein elegantes Parfüm das Dunkel durchzieht. Mit seinen schnurartigen, hellgelben Blütenständen ist der Strauch rein äußerlich eher unscheinbar, doch kaum fällt die Nacht, kann man sich seiner Faszination nicht mehr entziehen. Auch die Mondwinde, die mit dem Sonnenuntergang weiße, leuchtende Blüten wie im Zeitraffer öffnet und exakt mit dem Sonnenaufgang wieder schließt, betört uns mit ihren tropisch blumigen Duftaromen, die der Nachtwind zu uns hinüberträgt – und mit ihm unzählige Nachtschwärmer, die die Kletterpflanze mit den herzförmig geformten Blättern immer wieder ansteuern. Ebenso wie die weißen, ins Silbrig-Blaue schillernden, kugelförmigen Blüten der Herzviole, deren frischer, blumiger Geruch das Dunkel tränkt. Mit dem Sternbalsam aber, der mit seinen Tausenden sternförmigen Blüten und seinem schweren Vanilleduft zum Träumen einlädt, wollen wir den Gang durch den Garten beschließen. Und den kommenden Morgen erwarten – mit seinem betörenden Rosenduft.
Elisabeth Aslan