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Müssen Kinder gehorchen?


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ÖKO-TEST Spezial Erziehung - epaper ⋅ Ausgabe 5/2012 vom 11.05.2012

Unterschiedlicher könnten die Ansichten, die der pädagogische Psychologe Ralf Hickethier und die Journalistin Sabine Reichelt zu diesem Thema haben, kaum sein.


PRO

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Bildquelle: ÖKO-TEST Spezial Erziehung, Ausgabe 5/2012

Ralf Hickethier, 60, ist pädagogischer Psychologe, Autor (www.ralfhickethier.de) und war bis Sommer 2010 Leiter einer evangelischen Mittelschule bei Dresden. Er hat drei erwachsene Söhne.


Weil ich es sage!

Kinder sollen gehorchen lernen. Ungehorsam sind sie von allein. Das klingt vielleicht schroff. Doch mit meinen Erfahrungen als Psychologe und Schulleiter bin ich zu der Erkenntnis gelangt, dass Mut zum Leben auch Mut zum Erziehen bedeutet. In einer Welt, die immer mehr in Unordnung gerät, brauchen Kinder Halt durch klare Strukturen. Das sind wir ihnen schuldig. Wir dürfen die Kinder nicht unvorbereitet in die Welt schicken. Wer nur gelernt hat, nach Lust und Laune zu handeln, bleibt triebgesteuert und wird in der globalisierten Wirtschaftswelt gnadenlos untergehen. Ich denke an die Konkurrenz aus Asien! In dieser Arbeitswelt werden unsere Kinder nicht gefragt, ob sie gerade Lust haben. Und je früher sie lernen, sich selbst zu beherrschen und unterzuordnen, ein Nein zu akzeptieren, umso leichter werden sie es später haben. An unserer Schule stehen die Schüler auf, wenn der Lehrer das Zimmer betritt oder sie eine Antwort geben. Das ist eine Form des Respekts dem Erwachsenen und sich selbst gegenüber. Die Schüler stellen sich! Moral entsteht nicht aus schönen Reden, sondern daraus, dass sie „geübt“ wird im praktischen Tun.

Die Auf-Augenhöhe-Kultur des ewigen Diskutierens und Alles-recht-machen-Wollens führt dagegen leicht zu Beziehungsstörungen – weil die Kinder eben nicht unsere gleichberechtigten Partner sein können. Die Eltern führen die Familie, sie tragen die Verantwortung. Und wer führt, sagt, wo es langgeht. Natürlich darf es Diskussionen geben, aber nachdem die Begründung mehrere Male erörtert wurde, muss reichen: Weil ich es sage!

KONTRA

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Bildquelle: ÖKO-TEST Spezial Erziehung, Ausgabe 5/2012

Sabine Reichelt, 37, ist Chefredakteurin des Magazins unerzogen (www.unerzogen-magazin.de), sie hat einen zehnjährigen Sohn und Zwillingstöchter von sechs Jahren.


Menschen nicht zurechtschnitzen

Der Begriff des Gehorchens ist mir fremd. Ich möchte doch kein Unterordnungsverhältnis schaffen und Jasager produzieren. Wir wünschen uns eigenständige Menschen für eine freie und demokratische Gesellschaft. Das gilt auch in der Familie: Wenn meine Kinder auf mich hören, dann weil sie mir vertrauen und weil wir eine harmonische Beziehung führen. So wie es auch unter Erwachsenen funktioniert. Wenn sie zum Beispiel die gemeinsame Wohnstube verwüsten, müssen sie sie auch wieder aufräumen.

Erziehung aber als ein „Machen“ von Menschen-Kindern lehnen mein Partner und ich ab, weil man sich Kinder nicht zurechtschnitzen kann wie ein Stück Holz. Es gibt eben keine allgemeingültigen Rezepte, die für alle Kinder gelten. Deutlich geworden ist uns das, als unser Sohn auf die Welt kam. Er wollte sich einfach an keine Anleitung aus den vielen Ratgeberbüchern halten, beim Einschlafen nicht, beim Essen und beim Liegen im Kinderwagen nicht. Als dann noch unsere Zwillinge geboren wurden, haben wir erneut erlebt, wie unterschiedlich Menschen ticken können – obwohl sie sogar gleich aussehen. Damit haben wir es mit der Pädagogik endgültig aufgegeben.

Natürlich gibt es äußere Zwänge wie die Schulpflicht und das Geldverdienen, die wir und die Kinder einhalten müssen. Aber wenn sie dagegen protestieren, müssen wir sie ihnen eben immer wieder neu erklären. Denn wir wollen Regeln nicht mit Gehorsam umsetzen, sondern stärken das Vertrauen und pflegen unsere Beziehung zu den Kindern.

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