Dass Mütter in den ersten zwei Monaten nach der Geburt abstillen, ist keineswegs selten. So verzeichnet die Stillrate laut einer Studie zum Stillverhalten in Bayern in dieser Zeit den stärksten Rückgang von zirka 95 auf 70 Prozent. Die Kinderkrankenschwester Christiane Dornheim bedauert dies. Sie bietet in Frankfurt am Main eine offene Stillund Säuglingsberatung an und weiß, dass die Brustmilch häufiger nicht gleich am ersten Tag einschießt. „Das muss nicht bedenklich sein“, erklärt sie. „Gesunde Neugeborene brauchen in den ersten zwei Tagen noch keine Flüssigkeit und sie dürfen bis zu zehn Prozent ihres Geburtsgewichts verlieren.“ Trotzdem, so ihre Erfahrung, werde in vielen Kliniken zu schnell Flaschennahrung gegeben. Oft fehle es dort auch an einer guten Beratung.
Fertige Babynahrung aus dem Fläschchen ist eine Alternative, wenn es mit dem Stillen nicht klapp. Muttermilch ist aber die erste Wahl fürs Baby.
Großen Einfluss auf den weiteren Verlauf des Stillens hat das Umfeld, so Dornheim. „Wenn Väter zum Beispiel sagen ‚Warum tust du dir das an?‘ oder die eigene Mutter tröstet ‚Ich habe meine Kinder auch mit der Flasche großgezogen‘, dann kann das Frauen mit Stillproblemen verunsichern.“ Mitunter stecken auch handfeste physiologische Ursachen hinter einem Stillabbruch. So wollen manche Frauen zu früh die Modelmaße von vor der Schwangerschaft zurück und essen zu wenig. Dadurch bleibt die Milchmenge zwar oft gleich, der Fettgehalt kann jedoch sinken und der Säugling wird nicht satt.
Die Industrie bietet für das Fläschchen diverse Säuglingsmilchprodukte an. Wir haben 21 Anfangsnahrungen in Drogerien, Verbrauchermärkten und Bio-Läden eingekauft und im Labor auf bedenkliche Inhaltsstoffe untersuchen lassen. Auch die Kennzeichnung ließen wir von Experten prüfen.
Das Testergebnis
■ Kein Produkt ist besser als befriedigend. Verantwortlich dafür sind die immer noch zu hohen Gehalte an dem Fettschadstoff 3-MCPD-Ester.
■ Schadstoffvehikel Pflanzenöle: Raffiniertes Öl steckt in allen Produkten und führt daher auch durch die Bank zur Belastung mit 3-MCPD-Fettsäureestern, so die Laborergebnisse. Bei der Bewertung haben wir uns an der tolerierbaren täglichen Aufnahme (TDI) von freiem 3-MCPD orientiert. Dieses kann im Körper aus den Fettsäureestern freigesetzt werden. 3-MCPD hat in Tierversuchen die Nierenkanälchen verändert und in hohen Dosen zu gutartigen Tumoren geführt. Zwar ist bislang unklar, in welchen Mengen 3-MCPD tatsächlich frei wird, auch gilt das TDI-Konzept üblicherweise für Erwachsene und die lebenslange Aufnahme eines Schadstoffes. Wir bewerten dennoch streng, weil es zum Muttermilchersatz in dieser Lebensphase keine Alternative gibt.
■ TDI immer noch überschritten: Auch wenn die Ergebnisse insgesamt besser ausfallen als in früheren Tests, liegen alle gemessenen Gehalte oberhalb des TDI.
■ Hersteller haben nachgebessert: Gesenkt wurden nicht nur die 3-MCPD-Gehalte, sondern auch die Glycidyl-Fettsäureester, die ebenfalls in raffinierten Pflanzenölen vorkommen. Das daraus im Körper entstehende Glycidol ist möglicherweise noch gefährlicher, denn es gilt als wahrscheinlich krebsauslösend beim Menschen. Da die Werte für alle Pulver ein sehr niedriges Niveau zeigen, mussten wir hier nicht zusätzlich abwerten.
■ Fragwürdige Zusätze: Mehrere Muttermilchersatznahrungen sind mit probiotischen Bakterienkulturen an ge reichert – oder sie enthalten spezielle Ballaststoffe, die das Wachstum „guter“ Keime im Darm fördern sollen – von Fachleuten „Präbiotika“ genannt. Ob dies echte Vorteile bringt, konnte bislang aber nicht zweifelsfrei belegt werden.
■ Hipp betont Ähnlichkeit zur Muttermilch zu stark. Die Hipp Bio Combiotik Bio-Anfangsmilch Pre enthält beides -eine besondere probiotische Bakterienkultur und den präbiotisch wirksamen Mehrfachzucker GOS – von Hipp als „neue Generation Milchnahrung“ bezeichnet. Gleichzeitig wird auf der Frontseite plakativ mit dem Slogan „nach dem Vorbild Muttermilch“ geworben. Der Ernährungsexperte Professor Berthold Koletzko von der Kinderklinik München sieht das kritisch. So seien die Zusätze gar nicht besonders charakteristisch für Muttermilch.
Auch habe die von Hipp vorgelegte Studie, die die Vorteile der Zusätze absichern soll, Mängel. Schließlich könne die prägnant angebrachte Auszeichnung „nach dem Vorbild Muttermilch“ auf der Vorderseite der Packung den Eindruck erwecken, dass diese Nahrung der Muttermilch nahekomme und Mütter dadurch vom Stillen abhalten. Da nützt unserer Meinung nach auch der seitlich angebrachte Pflichthinweis auf die Überlegenheit des Stillens wenig. Wir werten daher unter den Weiteren Mängeln ab.
■ Miese Kennzeichnung: Auf den Milasan-Produkten sowie der Babydream Bio Anfangsmilch 1 fehlt der Warnhinweis, dass die Milchnahrung nicht in der Mikrowelle erhitzt werden darf. Bei dieser Art der Zubereitung entstehen leicht heiße Stellen – eine Gefahr für das Baby. Zu dick tragen dagegen Humana, Dm und Lebenswert Bio auf. Sie zeigen mit ihrem Hinweis, dass keine Aromen, Farb- und Konservierungsstoffe „laut Gesetz“ verwendet werden, nur, dass sie gesetzliche Vorgaben einhalten – mehr aber auch nicht. Beim Holle-Produkt braucht man gute Augen und viel Licht. Ansonsten lassen sich die Passagen mit schwarzer Schrift auf dunkelblauem Grund kaum entziffern.
So reagierten die Hersteller
■ Hipp: Hersteller Hipp widersprach dem Vorwurf, die vorgelegte Studie zu ihrem Präund Probiotik-Konzept habe Mängel. Die Veröffentlichung der Studie im Journal der Europäischen Gesellschaft für pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung würde die hohe Qualität der Studie beweisen.
■ Hipp, Milupa: Beide Hersteller erklärten, kontinuierlich an der weiteren Absenkung der 3-MCPD-Ester zu arbeiten.
■ Nestlé: Die Firma teilte mit, die Deklarationsmängel auf den Beba-Produkten sowie die falsche Mengenangabe auf der Milasan Anfangsmilch 1-Packung bei der nächsten Überarbeitung zu korrigieren.
Anmerkungen: 1) Summe der Fettschadstoffe 3-MCPD- und Glycidyl-Fettsaureester pro empfohlener Tagestrinkmenge uberschreitet den TDI fur freies 3-MCPD um weniger als das Zehnfache. Die Einordnung und Bewertung orientiert sich am TDI fur freies 3-MCPD, analysiert wurden 3-MCPD- und Glycidyl-Fettsaureester. 2) Weiterer Mangel: fehlender Warnhinweis, dass die Milchnahrung nicht in der Mikrowelle erhitzt werden soll (Uberhitzungsgefahr). 3) Weiterer Mangel: Der Inhaltsstoff Alpha-Linolensaure wird falschlicherweise in Gramm und nicht in Milligramm angegeben. 4) Weiterer Mangel: fehlender Hinweis, dass sich die Haltbarkeit des Inhalts von 21 Tagen auf die geoffnete Dose bezieht. 5) Weiterer Mangel: Auslobung „Ohne Zusatz von Aromen, Farbstoffen und Konservierungsstoffen laut Gesetz“. 6) Weiterer Mangel: prominenter Schriftzug „Combiotik – nach dem Vorbild Muttermilch“ auf der Packungsvorderseite, der die Ahnlichkeit zu Muttermilch zu stark betont. 7) Weiterer Mangel: schlechte Lesbarkeit. 8) Laut Anbieter wird die Deklaration bei der nachsten Uberarbeitung geandert (Beba-Produkte: Erganzung, dass sich der Haltbarkeitshinweis auf die geoffnete Dose bezieht; Milasan Anfangsnahrung 1: Korrektur der Mengenangabe).
Legende: Produkte mit dem gleichen Gesamturteil sind in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt. Unter dem Testergebnis Inhaltsstoffe fuhrt zur Abwertung um zwei Noten: ein Gehalt der Summe der Fettschadstoffe 3-MCPD- und Glycidyl-Fettsaureester pro empfohlener Tagestrinkmenge, der den TDI fur freies 3-MCPD (= 2 Mikrogramm pro Kilogramm Korpergewicht) um weniger als das Zehnfache uberschreitet. Die Berechnung des TDI bezieht sich auf ein Baby in der 2. Lebenswoche mit einem Gewicht von 3,5 Kilogramm und die vom Hersteller empfohlene Trinkmenge pro Tag (je nach Anbieter zwischen 500 und 700 ml). Die Bewertung orientiert sich am TDI fur freies 3-MCPD, analysiert wurden 3-MCPD- und Glycidylester. Unter dem Testergebnis Weitere Mangel fuhrt zur Abwertung um vier Noten: prominenter Packungshinweis, der die Ahnlichkeit zur Muttermilch zu stark betont. Zur Abwertung um zwei Noten fuhrt: fehlender Warnhinweis, dass die Milchnahrung nicht in der Mikrowelle erhitzt werden soll. Zur Abwertung um jeweils eine Note fuhren: a) falsche Mengenangabe eines Nahrstoffs; b) fehlender Hinweis, dass sich die Haltbarkeit des Inhalts von 21 Tagen auf die geoffnete Dose bezieht; c) Werbung mit Selbstverstandlichkeiten (Auslobung „Ohne Zusatz von Aromen, Farbstoffen und Konservierungsstoffen laut Gesetz“); d) schlechte Lesbarbeit der Packungsangaben. Das Gesamturteil beruht auf dem Testergebnis Inhaltsstoffe. Ein Testergebnis Weitere Mangel, das „befriedigend“ oder „ausreichend“ ist, verschlechtert das Gesamturteil um eine Note. Ein Testergebnis Weitere Mangel, das „mangelhaft“ ist, verschlechtert das Gesamturteil um zwei Noten.
Testmethoden: siehe www.oekotest.de → Suchen → „J1201“ eingeben.
Bereits veröffentlicht: OKO-TEST-Magazin 11/2011. Aktualisierung der Testergebnisse/Angaben, sofern sich aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse die Bewertung von Mangeln geandert oder OKO-TEST neue/ zusatzliche Untersuchungen durchgefuhrt hat.
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