... deutschen Mannschaften in den letzten Jahren ein bescheidenes Bild abgegeben – auch wir.
„Hätte Löw weitergemacht, wäre Flick wahrscheinlich noch bei den Bayern“
Seit 2005 ist Rudi Völler Sportboss bei Bayer Leverkusen. Am Saisonende hört er auf
„Haaland ist eine Maschine“
„Nationalmannschaft war keine Einheit“
Klopp, Flick und Tuchel, die in den vergangenen drei Jahren die Champions League gewonnen haben?
Seine Entwicklung ist top. Er hat in Hoffenheim und in Leipzig richtig viel aus seinen Mannschaften gemacht. Deshalb hat ihn der FC Bayern geholt. Sie haben viel Geld, aber das alleine ist es ja nicht. Sie setzen es gut ein und treffen eben auch die richtigen Entscheidungen.
Entscheiden die Top-Stürmer Robert Lewandowski und Erling Haaland die Meisterschaft?
Die Frage kann man gut beantworten: Entscheidend sind die Mannschaften, in denen sie spielen und die es ermöglichen, dass sie die Tore schießen. Das hat die EM gezeigt. Norwegen mit Haaland war gar nicht dabei, und Polen ist mit Lewandowski frühzeitig ausgeschieden. Man sieht also auch bei solchen Superstars: Der Einzelspieler reicht nicht. Zu dem Duell: Sie werden beide sehr viele Tore erzielen. Haaland wird versuchen, mehr zu treffen als Lewandowski.
Sehen Sie Haaland schon auf Augenhöhe?
Bei der Anzahl der Tore kann er das Niveau erreichen. Als Stürmertyp sind sie völlig unterschiedlich. Lewandowski ist ein eleganter Mittelstürmer, der fußballerisch ganz stark ist und wirklich alles kann. Haaland ist aufgrund seiner Wucht so besonders. Er ist eine Maschine mit unglaublicher Geschwindigkeit, die eiskalt zuschlägt. Beide sind total effektiv.
Wenn Sie sich für diese Saison einen von beiden aussuchen dürften: Wen würden Sie wählen?
Schwierige Frage. Ich kenne jetzt schon die Überschrift, wenn ich sie beantworte (lacht). Ganz ehrlich: Wir sind sehr glücklich mit Patrik Schick!
Was genau macht Sie glücklich?
Schon bevor Patrik vor zwei Jahren aus Italien nach Leipzig wechselte, hatte ich Kontakt mit meinem Ex-Klub AS Rom, ob wir vielleicht eine Chance hätten. Leider hat das damals noch nicht geklappt. Umso mehr haben wir uns ein Jahr später gefreut. Bei der EM hat Patrik noch einmal gezeigt, welche Qualitäten er hat. Er hat fünf Tore erzielt: eins mit einem Weitschuss, eins mit links, eins mit rechts, eins mit dem Kopf und einen Elfer. Diese fünf Tore sagen alles über Patrik Schick aus: Er ist ein kompletter Stürmer. Wir werden hier noch viel Freude an ihm haben.
Steht er vor dem Durchbruch zum Top-Star?
Das muss man sich erarbeiten. Er ist schon robuster und dadurch noch besser geworden. Ich traue ihm den nächsten Schritt zu.
Acht Vereine in der Liga gehen mit einem neuen Trainer in die Saison, darunter die Top sechs der vergangenen Saison. Wird die Liga dadurch attraktiver, weil alle Offensiv-Fußball versprechen?
Es ist immer das Ziel, die Zuschauer zu begeistern. Am wichtigsten bleibt aber das Gewinnen. Dass die ersten sechs Vereine ihren Trainer gewechselt haben, ist auch dem Rücktritt von Bundestrainer Jogi Löw geschuldet. Das war der entscheidende Dominostein. Hätte er weitergemacht, wäre auch Hansi Flick wahrscheinlich noch bei den Bayern.
Meinen Sie?
Das glaube ich schon. Wir müssen keine großen Experten sein, um zu erkennen, dass Hansi Flick Bundestrainer werden wollte. Das ist aus meiner Sicht auch eine Top-Lösung. Natürlich lief in München nicht alles reibungslos. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er beim FC Bayern aufgehört hätte ohne diese Perspektive.
Was übernimmt die Bundesliga von der EM und von Europameister Italien?
Jeder, der den Fußball liebt (schmunzelt), hat es doch irgendwo als erlösend empfunden, die Spiele aus Budapest und London mit vollen Stadien zu sehen. Auch wenn ich da selbst am Ende kein allzu gutes Gefühl hatte und natürlich die Sorgen vieler Menschen und auch der Mediziner und Virologen verstehe, dass kaum Masken getragen wurden, und Karl Lauterbach (SPD-Gesundheitsexperte; d. Red.) wahrscheinlich vor dem Fernseher teilweise zu Recht gelitten hat. Ich versuche, das jetzt mal auszublenden.
Reicht Ihnen der Kompromiss, mit maximal 50 Prozent Auslastung oder höchstens 25 000 Zuschauern in die Bundesliga-Saison zu starten?
Durch die EM ist in mir ein Gefühl gewachsen, dass ich gerne mehr Zuschauer hätte. Die Sehnsucht nach Fußball ist da – bei den Spielern, den Vereinen, den Fans. Ich will mich einfach nicht mehr selbst schreien hören im Stadion. Aber es kommen auch wieder der Herbst und der Winter. Da werden wir uns wie während der kompletten Pandemie an den Rat der Politik und der Wissenschaft halten.
Was sind die rein sportlichen Erkenntnisse der EM?
Die Italiener sind mit ihrer mutigen, aggressiven und offensiven Spielweise verdient Europameister geworden. Sie haben tollen Fußball gespielt mit den drei kleinen Mittelfeldspielern Barella, Jorginho, Verratti. Damit haben sie die Menschen mitgenommen und begeistert. Dazu die Ü70-Abwehr mit Chiellini und Bonucci, die alles weggeköpft und weggeguckt haben. Italien hatte keinen großen Star, aber eine große Mannschaft. Das ist das, was wir alle mitnehmen sollten: Wenn das ganze Gebilde funktioniert, bist du erfolgreich.
Wo steht die deutsche Mannschaft nach dem Aus im Achtelfinale?
Uns hat die letzte Überzeugung gefehlt. Die Mannschaft ist nicht als Einheit aufgetreten.
Hat Deutschland genug Talente, um bei der WM 2022 wieder vorne dabei zu sein?
In den nächsten beiden Turnieren werden wir eine gute Spielerauswahl haben. Wirtz, Baku und Musiala rücken nach. Erst danach wird es weniger. Wenn wir uns die deutschen U-Mannschaften anschauen, muss man sich Sorgen machen. Es muss etwas im Nachwuchs passieren, keine Frage. Bis wir dann Erfolge sehen, dauert es einige Jahre.
Wie werden Sie die WM in Katar im nächsten Jahr verfolgen: als Rentner vor dem Fernseher, als TV-Experte oder als DFB-Präsident in einem neuen Amt?
Ganz klar, das Präsidenten-Amt schließe ich aus. Das ist eine repräsentative Position, in der man sehr gut zwischen Profi- und Amateur-Fußball moderieren muss, auch zwischen Verband und Vereinen. Dieser Moderator bin ich definitiv nicht, denn ich bin es gewohnt, meine Meinung immer offen und direkt zu sagen. Vielleicht wäre es sinnvoll, sich auch einmal Gedanken über geeignete Personen aus anderen gesellschaftlichen Bereichen zu machen. Über Kandidaten aus der Politik oder der Wirtschaft – aber natürlich mit einer Nähe zum Fußball.
Wie sehen Sie die Idee von Arsène Wenger, die er für die Fifa ausgearbeitet hat und nach der die WM alle zwei Jahre stattfinden soll?
Diese Idee ist völlig sinnfrei. Das darf es niemals geben. Einerseits geht es darum, den Wert der großen Turniere zu wahren. Im Eishockey weißt du doch inzwischen gar nicht mehr, wer gerade Weltmeister ist. Und auch im Handball ist die Anzahl der großen Turniere wie WM, EM oder Olympia inflationär, du fragst dich doch manchmal, was die da jetzt schon wieder ausspielen. Zum anderen müssen wir natürlich die Spieler schützen. Das Argument, dass sie viel Geld verdienen, hilft da auch nicht, weil die Belastungsgrenze einfach überschritten wird. Wenn dann auch noch alle vier Jahre eine EM stattfindet, haben die Spieler innerhalb von vier Jahren immer nur einmal eine echte Sommerpause. Ich verstehe gar nicht, wie jemand, der aus dem Vereinsfußball kommt wie Wenger, so eine Idee haben kann.
Zurück zur Bundesliga. Wie weh tut es Ihnen, dass das Spiel Schalke gegen den HSV der Auftakt in der zweiten Liga und nicht in der ersten ist?
Ich bin ein Verfechter des Leistungsprinzips. Wenn man die Punkte nicht holt, steigt man ab. Wenn man es dann gut genug macht, steigt man wieder auf. Es wird immer über die Traditionsvereine gesprochen, die fehlen. Was aus meiner Sicht bei der Diskussion vergessen wird: Es gibt viele kleinere Vereine, die es richtig gut machen und deshalb besser dastehen. Freiburg zum Beispiel! Was die aus ihren Möglichkeiten machen, ist super. Wenn es andere nicht schaffen, ihre Möglichkeiten zu nutzen, sind sie nicht mehr in der Bundesliga. Das ist der Wettbewerb.
Sie können demnach gut damit leben, dass Fürth, Bielefeld, Bochum, Augsburg in der ersten Liga spielen und Schalke, Hamburg, Bremen in der zweiten.
Ich spiele auch gerne auf Schalke und in Hamburg, bei Werder als Ex-Bremer sowieso. Aber nehmen wir Aufsteiger Fürth: Sie haben es richtig gut gemacht, am Ende besser als der HSV. Deshalb haben sie es auch verdient, in der Bundesliga zu spielen.