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Baby & Co. - epaper ⋅ Ausgabe 3/2022 vom 15.06.2022

Viele Kinder wünschen sich Geschwister. Die Nachricht löst bei ihnen aber oft ein Gefühlschaos aus. Zur Angst („Die Eltern lassen mich allein“) gesellen sich Schmerz („Ich muss alles teilen“), Verzweiflung („Ich dachte, Mama und Papa haben nur mich lieb“) und Aggressivität („Ich will, dass alles so ist wie vorher“). Ist das Geschwisterchen dann da, kommt Enttäuschung hinzu: Das Baby ist kein Spielkamerad, schläft die ganze Zeit – und wird von allen angehimmelt …

Je nach Alter und Charakter reagieren Erstgeborene unterschiedlich. Manche verhalten sich superbrav, einige verfallen ins Kleinkindverhalten zurück oder verkriechen sich. Wieder andere zeigen sich demonstrativ desinteressiert am neuen Familienmitglied oder strafen die Eltern mit Ignoranz. Hinter all diesen Verhaltensweisen steht aber eine klare Botschaft: „Habt mich lieb! Vergesst mich nicht!“

GETEILTE LIEBE

„Es ist wichtig, dass Kinder ihre Emotionen zeigen dürfen“, sagt die Psychologin Saskia zur Nieden. Die Eifersucht auf das neue Geschwisterchen ist eine ganz normale und natürliche Reaktion. Das ältere Kind befürchtet, dass es die Liebe und Zuwendung der Eltern teilen muss – und das stimmt ja auch. Experten nennen das „Entthronung“. „Das Geschwisterkind muss mit der neuen Situation erst mal klarkommen. Es muss lernen, dass sich die Aufmerksamkeit der Eltern nicht mehr nur auf es alleine bezieht. Das ältere Kind hat also allen Grund eifersüchtig zu sein“, sagt Saskia zur Nieden. Eltern können verhindern, dass dieses Gefühl die Überhand gewinnt – schon während der Schwangerschaft. „Kinder muss man von Anfang an mit einbeziehen“, sagt Edelgard Lackmann. Die Stationsleiterin im Zentrum für Geburtshilfe, Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) gibt Geschwisterkurse im Zentrum für Familienbegleitung Kinderlotse e.V. und weiß: Je mehr die Kinder über ihr neues Geschwisterchen wissen, je eher sie verstehen, was auf sie zukommt, desto weniger Probleme gibt es.

MAMA IST SCHWANGER

Je nach Alter des Kindes sollten Sie es frühzeitig über die Schwangerschaft informieren. Erklären Sie Ihrem Kind auch, was die Schwangerschaft mit Ihnen macht und wie sie Sie verändert. Und lassen Sie Ihr Kind an den Vorbereitungen teilhaben. „Konzentrieren Sie sich bewusst aufs andere Kind und verhalten Sie sich nicht so, als hätte sich nichts geändert – denn das hat es. Wichtig ist, dass das ältere Kind seinen Platz behalten darf“, sagt zur Nieden, die selbst mehrfache Mutter ist. Entscheiden Sie gemeinsam, wie das neue Babyzimmer eingerichtet wird, wo Bettchen und Wickelkommode stehen. Gehen Sie zusammen die abgelegten Klamotten des Älteren durch und überlegen Sie, was das Baby noch tragen könnte. Das ist übrigens eine prima Möglichkeit, mit dem Großen über die eigene Zeit als Baby zu sprechen. So versteht er, dass er auch mal klein und hilfsbedürftig war und dieselbe Fürsorge erfahren hat.

Je mehr Kinder über das neue Baby wissen und je eher sie verstehen, was auf sie zukommt, desto weniger Probleme gibt es

Genau das macht Edelgard Lackmann in ihren Kursen. „Wir üben die neue Rolle als großer Bruder oder große Schwester. Kinder machen sich viele Gedanken und wir helfen ihnen, Antworten zu finden auf Fragen wie: Warum weint das Baby? Hat es Hunger? Fühlt sich das Baby einsam? Wir wollen, dass die Kinder ihre Unsicherheit verlieren und vermitteln ihnen gleichzeitig Verantwortungsgefühl“, erklärt die Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin. Bei der Vorbereitung hilft es außerdem, das Erstgeborene in Kontakt mit größeren Familien und kleineren Kindern zu bringen, so erlebt es hautnah, wie die Veränderung aussehen kann. Es sollte darauf vorbereitet werden, dass Neugeborene besonders viel Zuwendung, Pflege und Aufmerksamkeit brauchen, dass das Baby die Eltern viel beschäftigen wird und der Familie so manche schlaflose Nacht bringt. Machen Sie dennoch nicht allzu viel Aufhebens um die nahende Geburt, sondern vermitteln Sie Vorfreude und Zusammengehörigkeitsgefühl.

DAS BABY IST DA!

Oft sind Kinder enttäuscht vom Anblick des winzigen Wesens. Geben Sie Ihrem Großen Zeit, sich darauf einzustellen und den Nachzügler zu beschnuppern – das Kennenlernen kann eine Weile dauern. Drängen Sie es nicht: Liebe, Interesse und Vertrautheit kann man nicht erzwingen, sie kommen von allein. Gut ist es, wenn das ältere Kind Baby und Mama aus dem Krankenhaus abholen darf. Wenn Sie mit einer Eifersuchtsreaktion rechnen, können Sie so auf Nummer sicher gehen: Empfangen Sie Ihr Großes ohne Baby im Arm, es kann in seinem Bettchen liegen. So sieht das Große, dass Mama immer noch ganz die Alte ist, selbst wenn sie sich jetzt um noch jemanden kümmert. Zu Hause gilt: Gewohnte Rituale, zum Beispiel das gemeinsame Essen, Zubettbringen oder Vorlesen, sollten weiterhin stattfinden, sie geben Ihrem Kind Sicherheit und die Zuversicht, dass die Eltern ihm nach wie vor ihre Liebe und Aufmerksamkeit schenken. „Achten Sie darauf, dass das Große nicht zu kurz kommt“, rät Saskia zur Nieden. „Reservieren Sie Zeiten, in denen Mama oder Papa nur für ihn da sind. Ihr Kind muss sich wichtig fühlen, es muss lernen, dass es zwar nicht mehr die erste Geige spielt, aber immer noch geliebt wird.“

Gewohnte Rituale, zum Beispiel das gemeinsame Essen, Zubettbringen oder Vorlesen, geben Erstgeborenen Sicherheit und Zuversicht

Gut sind feste Zeiten, in denen Mama oder Papa Zeit mit ihrem Erstgeborenen verbringen: Wenn Mama stillt, spielt Papa mit ihm, wenn Papa wickelt, liest Mama vor. Reden sie viel mit Ihrem Großen, erzählen Sie ihm von der eigenen Babyzeit, es tut ihm gut zu hören, dass er einst genauso umsorgt wurde.

Grundschulkinder kann man langsam an Verantwortung heranführen: Breilöffeln oder Eincremen können sie problemlos übernehmen. „In der Regel haben Kinder viel Spaß daran und kümmern sich rührend um ihr Geschwisterchen“, bestätigt Edelgard Lackmann. „Kinder lieben es, mit dem Baby zu kuscheln oder Mama bei Bauchmassagen zur Hand zu gehen.“ Aber: Drängen Sie Ihre Kinder nicht zum Helfen, sondern vermitteln Sie ihnen lieber, dass das Baby nun mal ganz viel Pflege, Zuwendung und Zeit braucht.

HILFE BEI EIFERSUCHT

Aber was, wenn trotz aller Vorkehrungen Eifersuchtsreaktionen auftreten?

• Das Baby ärgern: Aggressionen sollten Sie nie durchgehen lassen. Bei allem Verständnis für die schwierige Situation des Erstgeborenen muss ihm klargemacht werden, wo seine Grenzen liegen. Sobald Sie mitbekommen, dass der Große den Kleinen unsanft behandelt, sollten Sie die Kinder räumlich trennen. Wichtig: Lassen Sie jüngere Kinder mit dem Baby nie allein. Schließlich kann auch pure Neugier Schaden anrichten: Was passiert, wenn sie das Baby fest am Bauch drücken? Oder es kurz schütteln?

Was Sie tun können: „Nehmen Sie aggressives Verhalten als Signal, dass Ihr Kind mehr Zuwendung will“, sagt Saskia zur Nieden. Und machen Sie ihm deutlich: „Ich hab’ dich lieb, genauso wie ich das Baby lieb habe.“ Angebote, mit ihm Zeit beim Spielen, Lesen, Sport oder Backen zu verbringen, wirken oft Wunder.

• Selbst Baby spielen: Bei Kindern unter vier Jahren passiert es häufig, dass sie, kaum ist das Baby da, selbst wieder Baby sein wollen. Ein solches Verhalten ist ein klares Signal und heißt: „Kümmere dich um mich!“ Die Kinder fordern damit die Zuwendung und Fürsorge der Mutter ein. Was Sie tun können: „Spielen Sie das Spiel mit. Lassen Sie es Milch aus der Flasche trinken, baden Sie es in der Badewanne, lassen Sie es Brei essen oder im Bett der Eltern kuscheln. Aber betonen Sie, dass es nur ein Spiel ist. So kann es wieder ,auf groß‘ umstellen, wenn es merkt, dass es doch schon reifer ist. Auch hier helfen Aufmerksamkeit und Exklusiv-Zeit mit Mama oder Papa“, rät die Psychologin.

• Den Kasper machen: Sobald Besuch kommt, wird Ihr Großes zum Clown, drängt sich in den Mittelpunkt, albert herum, will Aufmerksamkeit. So zeigt es, dass es nicht damit einverstanden ist, nicht mehr im Fokus des Interesses zu stehen. Was Sie tun können: Binden Sie Ihr Kind ein, indem es die Besucher zum Baby führt und ihnen von den vergangenen Ereignissen berichtet. So fühlt es sich wichtig und stolz. Falls die Gäste das Große übersehen, integrieren Sie es im Gespräch oder mit einem Spiel. Halten Sie kleine Präsente parat, die Sie aus der Tasche ziehen, wenn nur das Baby Geschenke bekommt – so geht keiner leer aus. Einfacher Trick: Bitten Sie Großeltern, Freunde und Bekannte, immer zuerst das große Kind zu begrüßen. Das Baby bekommt das ohnehin nicht mit, aber fürs Erstgeborene ist diese Geste eine wichtige Anerkennung und zeigt ihm: Auch wenn das Baby da ist, heißt das nicht, dass du nun weniger wichtig bist!

TEENIES UND BABYS

Größerer Altersunterschied?

So bereiten Sie ältere Geschwisterkinder auf den Nachwuchs vor

OFFENHEIT

Sprechen Sie mit den Großen ehrlich darüber, wie es sein wird, wenn das Baby da ist und dass es auch ihren Alltag umkrempeln wird. Sagen Sie, dass Sie sich über Hilfe freuen, aber überlassen Sie die Entscheidung darüber den Kindern selbst.

AUFMERKSAMKEIT

Auch Zehnjährige brauchen genauso viel Aufmerksamkeit und Wertschätzung wie Krabbelkinder – unterschätzen Sie das nicht. Nehmen Sie ihre Ansprüche ernst und zeigen Sie sich offen für die Bedürfnisse und Wünsche der Großen.

EHRLICHKEIT

Wenn sich die Großen beschweren, dass die Erziehung beim Nesthäkchen lockerer ist, geben Sie zu, dass das stimmt, und nennen Sie auch den Grund: Mit dem Alter und der Erfahrung sieht man nun mal vieles lockerer. Aber betonen Sie auch, dass die Großen ihren Beitrag dazu beigesteuert haben und auch sie von dieser Vorreiterrolle profitieren werden.

RESPEKT

Große können natürlich mehr Verantwortung tragen, aber sie sollten nicht automatisch Babysitter sein müssen.

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