Leider herrsche immer noch die Meinung vor, „ich nehme mir den Baumschulkatalog und suche mir einen hübschen Baum raus“.
Dabei ist aber doch das Wichtigste, den richtigen Baum am richtigen Standort zu pflanzen. Für Müller bedeutet das: Der neue Baum soll mit dem anstehenden Boden zurechtkommen, eine Bodenverbesserung ist dabei aber oft sinnvoll. „In Erlangen verwenden wir 30 % Lava, da es gut durchwurzelbar ist und die Wasserspeicherfähigkeit erhöht. Diese vermischen wir mit dem anstehenden Boden, sofern er geeignet ist. Des Weiteren geben wir den Bäumen einen organischen Langzeitdünger als Starthilfe. Für die Belüftung setze ich aktuell kompostierbare Belüftungsrohre ein, da diese verrottbar sind. Bei dem Gedanken an Plastik im Boden habe ich kein gutes Gefühl. Bei nicht funktionsfähigen Böden verwenden wir FLL-Substrat. Im Straßenraum setzen wir bei überbauten Bereichen FLL-2-Substrat ein, um den Wurzelraum zu vergrößern.“
„Auf Spielplätzen sehe ich übrigens die Bäume als das Wichtigste an und nicht die Spielgeräte.“
Marco Müller
Baumarten beobachten
Erlangen ist eine Platanenstadt. Der damalige Modebaum wurde im Zuge der Veranstaltungsreihe „Grün in Erlangen 82“ vermehrt gepflanzt. Heute hat die Platane mit Krankheiten und Schädlingen zu kämpfen.
Müller will den Baum nicht aufgeben, pflanzt ihn aber reduziert. Ohnehin schwört er auf viele Baumarten, die er gerne mischt. Bis heute hat er 80 Baumarten im Stadtgebiet ausprobiert. So halten sich größere Ausfälle bei Krankheits- und Schädlingsbefall im Rahmen. Bei Platanus orientalis beeindruckt ihn, dass der Baum bei Trockenheit einige Blätter abwirft und dadurch weiterhin ein „grünes Erscheinungsbild“ erhält. Im Gegensatz dazu gehen andere Bäume bei Trockenheit im Sommer in eine vorgezogene Herbstfärbung.
Auf die Frage, welche Bäume er gut empfehlen kann, sagt der Techniker: „Alnus x spaethii (Purpur-Erle) funktioniert gut, ist aber optisch langweilig, da sie keine Herbstfärbung macht, genauso verhält es sich mit Ulmus ‘Lobel‘. Gut funktioniere in Erlangen auch Sophora japonica, zusätzlich punkte der Schnurbaum durch eine schöne gelbe Herbstfärbung. Als weitere Gewinner sieht Müller Celtis australis (Südlicher Zürgelbaum), Acer monspessulanum (Französischer Ahorn), Zelkova serrata (Japanische Zelkove) und Parrotia persica (Eisenholzbaum). Daneben überzeuge Acer rubrum (Rot-Ahorn), hier lobt er zudem die fantastische Herbstfärbung. „Vom Rot-Ahorn probieren wir in der Stadt gerade einige Sorten aus. Juglans nigra (Schwarznuss) bereitet ebenfalls keine Probleme.“ Auch Eichen sieht er als Zukunftsbäume, wobei in Erlangen wegen des Eichenprozessionsspinners seltener Quercus robur (Stiel-Eiche) gewählt werde. Als heimische Art nennt er Acer campestre (Feld-Ahorn).
An Standorten, die genug Platz für Wurzelraum bieten und nicht mit Streusalz in Kontakt kommen, empfiehlt er auch mal Acer platanoides (Spitz-Ahorn).
„In Erlangen probieren wir viel aus. Wenn ein Baum an einem Standort ausfällt, wird er einmal nachgepflanzt. Danach weichen wir auf eine andere Art aus. 2021 sind die Paulownien ausgefallen. Sie bekommen noch eine Chance. Sollten sie wieder nicht anwachsen, werden wir eine andere Art als Ersatzbaum wählen. Neu haben wir als Rarität Chitalpa tashkentensis (Schmalblättriger Trompetenbaum) gepflanzt.
Hierzu kann ich aber noch keine Aussage treffen. Ein Baum muss sich bei mir erstmal bewähren – vor allem, wenn die Bewässerung eingestellt wird.“
Auch für die Bestandsbäume gibt es in Erlangen Hilfen: Mit dem Aufbringen von Oberboden und Kompost werden Huminstoffe eingebracht und die Wasserhaltefähigkeit erhöht. Fünf Jahre werden neu gepflanzte Bäume von der beauftragten Firma gewässert, fünf bis zehn weitere Jahre wässert der Unterhalt der Stadt.
Dünger gibt es nur bedarfsorientiert.
Asphaltflächen werden entsiegelt, um Platz für den Wurzelraum der angrenzenden Bäume zu schaffen. An anderen Standorten wird mit Saugbaggern verdichtetes Material entfernt und frisches, lockeres Substrat eingebracht. Leider stößt man hier in der Innenstadt auf viel Unverständnis: Da werden an frisch sanierten Baumscheiben Absperrungen entfernt, um das Auto zu parken.
Der Erlanger Berch
Kurz vor Pfingsten beginnt in der kleinsten Großstadt Deutschlands der Ausnahmezustand. Innerhalb von zwölf Tagen strömen dann gut eine Million Besucher auf das bewaldete Gelände der Bergkirchweih. Im Jahr 2019 sorgten hier einige Bäume für Wirbel. Da für ihre Standsicherheit nicht mehr garantiert werden konnte, mussten sie gefällt werden. Inzwischen sind sie aber durch neue ersetzt worden. „Wir wollten den Charakter der Bergkirchweih nicht verändern und blieben daher bei heimischen Arten wie Linden, Eichen und Kastanien. Das aber sind nicht unbedingt Klimabäume, daher haben wir mit der Art gespielt und beispielsweise Esskastanie oder Silber-Linde mit reingebracht.“
Problem: Vandalismus
Nach zweijähriger Corona-bedingter Pause fand die Bergkirchweih 2022 wieder statt.
Bilanz nach zwölf Tagen Ausnahmezustand: Bei mindestens zwei der im Jahr 2019 gepflanzten Hochstämme wurde der Leittrieb samt Krone herausgebrochen. Im Vorfeld hatte die Stadt Bäume bereits aufasten lassen, um weniger Angriffsfläche für Zerstörungswut zu bieten. Wer kommt für den Schaden auf? Im Prinzip die Steuerzahler.
Denn da es sich um Vandalismus handelt, zahlt die Stadt die Rechnung für die zu ersetzenden Bäume samt Pflanzung und neu beginnender Fertigstellung- und Entwicklungspflege. Zum Teil laufen da schnell Kosten von zusätzlichen 1.000 Euro pro Baum auf. Doch bitterer als der finanzielle Schaden ist der Verlust der Stadtbäume, die nach drei Jahren gut angewachsen waren und fürs Stadtklima essenziell sind. Insgesamt werden in Erlangen etwa fünf bis zehn Prozent der Neupflanzungen zerstört.
Die Baumauswahl
Bei der Auswahl der Bäume geht es Müller in erster Linie um den Standort. Die Bäume müssen klimaverträglich sein und mit Trockenheit, Hitze und Rückstrahlung von Gebäuden und Straßen zurechtkommen.
Die Hainbuche beispielsweise verdurstet im Stadtgebiet nicht, sie verbrennt. Er überlegt sich deshalb genau, wo der Baum steht, welche Funktion er einnehmen soll – und auch, für welchen Zeithorizont er gepflanzt wird. Wenn es sich um einen Platz handelt, auf dem in den nächsten zehn Jahren Veränderungen anstehen, sieht er auch kein Problem darin, hier eine Pappel zu pflanzen. Geht es um Ersatzbäume, pflanzt Müller gerne nah am Bestandsbaum. In fünf bis sechs Jahren wächst an der Stelle dann ein Baum, der den toten ersetzt.
Neben der Klimaverträglichkeit gibt es noch weitere Kriterien bei der Baumartenauswahl für die Stadt. „Ich persönlich liebe den Indian Summer, daher ist die Herbstfärbung bei mir ein großes Kriterium bei der Auswahl. Die Blüte im Frühjahr spielt für mich eher eine untergeordnete Rolle.
Insektenfreundlichkeit ist mir allerdings wichtig. Die Aussage, dass heimische Insekten heimische Gehölze benötigen, ist jedoch nach neuesten Erkenntnissen nicht haltbar.“ Müller verweist hier beispielhaft auf die Studie „Lebensraum Stadtbaum“ und setzt auf eine Baumartenvielfalt.
Was anderswo wächst
Müller lässt sich gerne von den Lösungen in anderen Städten inspirieren. Lyon beispielsweise ist vergleichbar mit dem Klima in Erlangen, es kann im Winter sehr kalt werden und im Sommer trocken und heiß.
Dort wachsende Baumarten könnten also teilweise auch in Erlangen funktionieren.
Und auch in Italien gebe es Berührungspunkte. Er sieht die Baumschulen in Norditalien klimatisch näher an Erlangen als die im feuchten Norddeutschland. „Es ist mir schon passiert, dass ich in einer südlichen Stadt bin, und mir denke, ach, den Baum hier habe ich daheim auch schon gepflanzt.“