Nur die Liebe zählt

Anders als das KaDeWe ist das Kaufhaus Jonass längst vergessen. Immerhin existiert das – unter Denkmalschutz stehende – Gebäude noch; die Hausnummer Torstraße 1 an der Ecke Prenzlauer Allee ist heute bekannt als Soho House, seit 2010 residiert hier der Berliner Ableger einer exklusiven Hotelkette nur für Mitglieder.

Das hier 1929 eröffnete Jonass war das erste Kreditkaufhaus Europas. Ratenzahlungen sollten es der weniger betuchten Kundschaft im Scheunenviertel ermöglichen, ihre Träume von Eleganz zu erwerben. Für die junge Vicky Maler ist die Großstadt Berlin eine Verheißung – in erster Linie das Versprechen, dort eine Arbeit zu finden. So bricht sie 1928 aus der pommerschen Provinz auf, angetrieben von einem Brief ihrer Freundin Doris, die von ihrer Karriere am Theater geschrieben hat. Doch die wohnt in Berlin nicht mehr unter der angegebenen Adresse. Als Vicky sie schließlich wiedersieht, ist sie eine Wasserleiche.

Nur ein kleiner Rückschlag für Vickys Optimismus und ihre Beharrlichkeit, genauso wie der gleich bei ihrer Ankunft gestohlene Koffer. Bei drei gleichaltrigen Frauen findet sie Unterkunft, das Doppelbett belegen sie schichtweise. Aber kann sie ohne Zeugnisse eine Anstellung im Kaufhaus ergattern? Mit ihrer Äußerung „Ich wünschte, Sie würden nach unseren Träumen fragen, nicht nach unseren Zeugnissen“ erringt sie die Aufmerksamkeit von Arthur Grünberg, denn für den ist sein Kreditkaufhaus ebenfalls ein Traum. Wenn es darum geht, den Wirklichkeit werden zu lassen, ist er ähnlich hartnäckig wie Vicky: Als er die Herren einer Bank als Kreditgeber gewinnen will, reagiert er auf die Frage, was er denn als Sicherheit zu bieten habe, indem er sich auszieht und seinen narbenübersäten Körper zeigt: „Ich bin für unser Land in den Krieg gezogen.“ Wenn er an etwas glaube, ist er bereit, dafür alles zu tun.

„Das Berlin der Goldenen Zwanziger ist noch lange nicht auserzählt. Wir lieben diese Zeit und wir lieben große Liebesgeschichten!“, sagen die Produzenten von X-Film, die mit „Babylon Berlin“ einen Trend gesetzt haben. „Das Haus der Träume“ verschont uns glücklicherweise mit Tänzen in Bananenröckchen und Szenen des dekadenten Nachtlebens; dafür setzt es ganz auf die Liebe.

Die Schwierigkeiten, das Kreditkaufhaus profitabel zu machen, werden immer mehr zu einer Bürde für Arthur Grünberg, was am Ende der ersten Staffel in einen folgenschweren Entschluss mündet (und den Zuschauer mit einem fiesen Cliffhanger entlässt). Das Geld kommt der Liebe immer wieder in den Weg.

„Das Haus der Träume“ ist eine Ode an die Liebe in den verschiedensten Facetten, irgendwann wird es zu viel mit den Missverständnissen, die das zentrale dramaturgische Erzählmittel sind – auch wenn sich neben bewährten Darstellern wie Alexander Scheer (als Grünberg) und Samuel Finzi (als sein Geschäftspartner) die Jungschauspieler gut zu behaupten wissen.

FRANK ARNOLD

RTL ab 18.9., 6 Episoden à 45 Min •••○○

A Private Affair

KRIMI Die spanische Hafenstadt Vigo in Galizien, Ende der 40er-Jahre: Ein Serienkiller geht um, seine Opfer sind ausschließlich Prostituierte. Gottseidank gibt es die gutbetuchte High-Society-Lady Marina Quiroga (Aura Garrido), die zusammen mit ihrem Butler Hector (ein seltsam gut aufgelegter Jean Reno) auf Mörderjagd geht. Gemeinsam kämpfen sie gegen alle Hindernisse – in diesem Fall vor allen Dingen geschlechtsspezifische – und stehen zusammen. Gute Schauspieler, schöne Bilder, kann man nicht meckern.

TB

Prime Video ab 16.9., 8 Episoden à 50 Min. ••••○

Grand Tour presents: A Scandi Flick

COMEDY GOLD Nach der letzten Episode, die coronabedingt dann doch eher mau war, erwarten wir in diesem Herbst wieder Großes von den drei Fuelheads May, Clakson und Hammond (Foto, v.l.n.r.). Die Reise führt nach Norwegen, Schweden und Finnland. Eis, Elche, düstere Wälder und komplett freidrehende Skandinavier werden von den mürrischen alten Männern vorgeführt. Und immer noch gilt: Wer das nicht witzig findet, muss Theaterkritiker sein.

TB

Prime Video ab 16.9., 90 Min. ••••○

Sidney

PORTRÄT In den hohen Zeiten von Black Power als „white man‘s n***er“ diffamiert, ist Sidney Poitier heute längst eine Ikone, nicht nur als Schauspieler, sondern auch als Aktivist. In dieser weitgehend chronologisch angelegten Dokumentation, produziert von Talkshowlegende Oprah Winfrey und inszeniert von Reginald Hudlin („House Party“), erinnert er sich noch einmal daran, wie schwer es war, in den 50er-Jahren andere als stereotype Nebenrollen zu ergattern. Morgan Freeman und Denzel Washington erklären, welche Vorbildbedeutung er für sie hatte, aber am besten sind die Ausschnitte aus einer Talkshow von Dick Cavett, in der er und Harry Belafonte konträre Auffassungen äußern und sich schmunzelnd an ihre frühere Rivalität erinnern.

FRANK ARNOLD

Apple TV ab 23.9., Uhrzeit ••••○

September Mornings s2

DRAMA Cassandra ist eine Transfrau, lebt in Sao Paulo und verdient sich ihren Lebensunterhalt als Lieferfahrerin. In der ersten Staffel der ursprünglich als Miniserie konzipierten Serie versuchte sie aus ihrem perfekten Leben auszubrechen, jetzt kommen neue Eindrücke – in Form eines Sohnes, von dem Cassandra nichts wusste – in ihr Leben. Der brasilianische Star Liniker spielt die Rolle sehr anrührend und auf den Punkt. Diese zweite Season war also nur eine Frage der Zeit.

HH

Prime ab 23.9., 5 Episoden à 50 Min. ••••○

Devil In Ohio

THRILLER Die Psychiaterin Suzanne bekommt einen interessanten neuen Fall vorgelegt, als die 15-jährige Mae in die örtliche Hirnanstalt eingeliefert wird. Das Mädchen ist traumatisiert und entstellt, trotzdem beschließt Suzanne, ihre neue Patientin zu sich nach Hause zu nehmen. Böser Fehler! „Devil in Ohio“ erfindet nichts neu und spielt mit den herkömmlichen Topoi auf geradezu durchschnittliche Art. Kann man sehen, muss man echt nicht.

TB

Netflix seit 1.9., 8 Episoden 40-49 Min. ••○○○

Patton Oswald: We All Scream

COMEDY Inzwischen ist Patton Oswalt ein Hansdampf-in-allen-Gassen: Comedian, Schauspieler, Synchronsprecher, Produzent, er schreibt Bücher und Comics (nie ganz schlecht, aber auch niemals der Oberburner) und hier führt er erstmals sogar Regie. Ein so mächtiges Programm wie „Annihilation“ (2017), bei dem man am Ende unter Tränen nicht aus dem Lachen herauskam, kann man nicht erwarten. Aber selbstironisch und politisch immer auf der richtigen Seite ist Oswalt nach wie vor.

LUG

Netflix ab 20.9., 58 Min. ••••○

Gutsy

PORTRÄTS Die ehemalige US-Außenministerin Hillary Clinton und ihre Tochter Chelsea begeben sich auf eine nachdenklich stimmende Reise und treffen dabei Frauen, die andere Frauen inspirieren sollen. Das klappt ganz gut, wenn etwa die Wissenschaftlerin und Verhaltensforscherin Jane Goodall, die Autorin und Frauenrechtlerin Gloria Steinem oder die Schauspielerin Wanda Sykes vor der Kamera stehen. Bei Tröten wie dem Social-Media-Star Kim Kardashian dreht das Ding jedoch leider komplett hohl. Und besonders inspirierend kommt auch Hillary nicht rüber.

LUG

Apple TV seit 9.9., 7 Episoden à 50 Min. ••○○○

Handsmaid’s Tale s4

SCIFI-SERIE Nach einem Jahr hinter der Abo-Schranke ist jetzt auch die vierte Saison im normalen Angebot von Prime gelandet. Gerade rechtzeitig, denn im November klatscht schon Staffel 5 bei Magenta auf. Wie schon in den Vorjahren gilt: Für Vergnügungssüchtige ist das mal gar nix. Zumal für die neue Staffel das Farbspektrum noch düsterer gemacht wurde. Inhaltlich orientiert man sich nur noch ganz leicht an den Vorlagen von Atwood, schauspielerisch kann man über Elisabeth Moss, Yvonne Strahovski und Ann Dowd nur staunen.

LUG

Prime Video seit 1.9., 10 Episoden, 43-63 Min. •••••

Sprung

COMEDY Yeah, Greg Garcia ist nach vier Jahren Pause wieder da! Von dem Mann stammen Comedyperlen wie „My Name is Earl“ (2005), „Raising Hope“ (2010) und „The Millers“ (2013). Wie so oft bei Garcia geht es auch hier darum, sein Leben zu ändern: Eine Gruppe von ehemaligen Häftlingen lebt in einer Art Wohngemeinschaft zusammen. Ihre „speziellen“ Fähigkeiten benutzen sie, um Gutes zu tun, geraten dabei aber immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt. Warmherzig!

TB

Amazon Freevee seit 19.8, 10 Episoden à 22 Min. •••○○

Der Parfumeur

THRILLER Patrick Süskind zögerte Jahrzehnte, ehe er der Adaption seines Bestsellers „Das Parfüm“ durch Tom Tykwer zustimmte. Der Regisseur blieb 2001 dem Geist des Buches treu. Die Rechte werden von den Münchner Produzenten weiter ausgequetscht. Nach der ZDF-Krimiserie „Parfüm“ folgt nun dieser düstere Thriller von Nils Wilbrandt, der die Grundidee erneut in die Gegenwart verlegt. Sein Parfumeur (Ludwig Simon) geht weiter für den perfekten Duft seiner beliebten Kreationen über Leichen. Nun soll er ausgerechnet einer jungen Kommissarin (Emilia Schüle) helfen, die ihren Geruchssinn verloren hat. Natürlich kommen sich die beiden gefährlich nahe und ihrem Ex (Robert Finster) in die Quere, woraus der solide inszenierte Genrefilm seine Spannung bezieht.

KD

Netflix ab 21.9., 95 Min. •••○○